Zur Geschichte des Automobils: Das ist eine Geschichte abenteuerlicher Experimente und fixer Ideen, in der es nichts gab, was man nicht ausprobiert hätte. Über die Jahrhunderte erfand man erst das Rad, später Segelwagen, die mit vom Wind geblähten Tüchern die Ufer entlangfuhren, langsame Gebilde betrieben von Uhrwerken, angeblich sich selbst bewegendeZaubermaschinen, die von kleinen Buben versteckt im Inneren angetrieben wurden, Explosionsmotoren mit Schießpulver als Brennstoff, elektrische Gefährte, Dampfwagen und Hippomobile. Es war ein langer Weg, eine wunderliche Evolution der Fahrzeuge, bis Verbrennungsmotoren das Auto von einer Idee weniger Spinner zur alltäglichen Antriebskraft der meisten werden ließ.
Als Ende des 19. Jahrhunderts das Benz-Motorwagen-Patent angemeldet wurde, war die Welt wenig bereit für das neue Zeitalter der Mobilität. Die Straßen schienen ungeeignet, die Pferde- und Fuhrwerkindustrie außer sich und Tankstellen so unbekannt, dass
Bertha Benz bei der ersten Überlandfahrt über 100 Kilometer in einer Apotheke ein Reinigungsmittel nachtanken musste, als ihr das Leichtbenzin ausgegangen war.
Fahrgemeinschaften, Carsharing, Mitfahrgelegenheiten, oder das minutenweise Anmieten von Fahrzeugen in der Stadt, die man an ihrem Ankunftsort einfach stehen lassen kann. Sprichwörtlich sind die Firmennamen dieser Mobilitätsunternehmen ein ukomplizierter Imperativ: car to go, drive now. Es sind schnelle Möglichkeiten für ein akutes Jetzt, ohne die finanzielle Verantwortung für Anschaffung, Wartung und laufende Kosten.
Man steigt ein und fährt selbstbestimmt, als wäre es der eigene Wagen, man steigt aus, und ist frei und unverpflichtet. Es ist vor allem ein Experiment der großen Städte, ein erstes Angebot, ein Herantasten an die konsequent Flexiblen, kein Lebensmodell, das sich raumgreifend wiederfinden lässt. Denn während die Unpersönlichkeit für die einen ein Bedürfnis bedient, ist sie für die anderen ein Gefühl, das die Bindung zu ihrer Schrottmühle, ihrem Schlitten, ihrem geliebten fahrbaren Untersatz nicht gegenteiliger beschreiben könnte. Manche Dinge bleiben der Modernisierung zum Trotz gleich. Am Land ist das eigene Auto immer noch der Startschuss zur Freiheit und zum wilden Leben. Mit dem Erwachsenwerden kommt das Auto oder umgekehrt. Nichts wie weg, um die Welt abseits des Zuhauses zu vermessen, Enge mit Weite zu vertauschen, Stillstand mit dem Rausch des eigenen Wegs. Raus aus der Unmündigkeit gegenüber den elterlichen Chauffeuren, hinein in Unsinn und Übermut.
Die Technik soll sparen: Geld, Unfälle, Unglücke und Menschenleben. Die Älteren und Alten soll sie im wahrsten Sinne des Wortes abholen. Man wird Greise statt in weltverlorenen Wohnungen sitzen, in führerlosen Wagen durch die Gegend reisen sehen, ist der Wunsch. Man versucht, die Prototypen zu verantwortungsvollen Maschinen zu programmieren, man stellt ihnen ethische Fragen und steht vor der Aufgabe, ihnen die richtigen Antworten vorzugeben. Wie verhalten sie sich, wenn etwas passiert, wie wird eine Entscheidung abgewogen, ein Menschenleben im unvermeidbaren Unfallsfalle aufgerechnet? Karambolagen durch Softwarefehler, Zusammenstöße ob Prioritätensetzung.
Es gab Tests, bei welchen ein autonomes Auto die berühmte Bertha-Benz-Strecke fuhr, andere, die Fahrzeuge von Silicon Valley nach Las Vegas führten. Es ist ein gespenstisches Bild, unterm Himmel ein einsamer Wagen, der durch die Wüste der glitzernden Spielstadt entgegenrast, ohne Fahrer, ohne Spieler, aber auch eines, an das man sich gewöhnen wird.
Jasmin Schuller