Seit Jahren spricht man vom radikalsten Bruch seit der Erfindung des Automobils. Wird dieser wirklich so radikal, wie alle sagen, und wann ist der Umbruch tatsächlich spürbar?
HERBERT DIESS: Es ist nicht einfach vorhersehbar. Ich glaube, dass das Jahr 2020 mit den neuen EU-Flottenzielen ein Einschnitt wird und man dann vom Wandel wirklich etwas spürt auf der Straße. Grundsätzlich ist die Autoindustrie eine langfristig arbeitende Industrie. Das heißt, wir haben bei unseren Produkten einen relativ langen Lebenszyklus. Der dauert in der Regel plus/minus sieben Jahre. Die technologischen Veränderungen hängen daher bislang am Produktzyklus. Deswegen ging es bei den Handys bzw. im Mobilfunk mit kurzen Produktzyklen relativ schnell. Nehmen Sie das Beispiel Nokia und Apple. Es hat keine zwei Zyklen gedauert – und die Touch-Technologie und Apple haben sich durchgesetzt. Zwei Lebenszyklen sind bei uns 15 Jahre und nicht 15 oder 25 Monate. Daher dauert ein industrieller Wandel bei uns auch länger als etwa in der Unterhaltungselektronik.

In welchem Zeitraum passiert also dieser Wandel in der Autobranche?
Ich rechne schon mit 15 Jahren, wobei er bei uns gradueller sein wird, und das Elektroauto wird sich auf den Märkten unterschiedlich durchsetzen. Es ergibt vor allem dort Sinn, wo man regenerative Energie hat und die Politik für geeignete Rahmenbedingungen sorgt. In Europa ist das Jahr 2020 wesentlich, weil wir dann die anspruchsvollen Flottenziele erreichen müssen. Das wird nur mit einem höheren Anteil an Elektrofahrzeugen gelingen. Darauf sind wir sehr stark fokussiert, und das wird auch für viele Wettbewerber gelten. Und natürlich werden das E-Autos sein, die für Kunden attraktiv und eine echte Alternative zum Diesel sind. Die müssen so gut sein, dass es schwer sein wird, sich gegen ein Elektroauto zu entscheiden.

Trendforscher halten das Automobil überhaupt für ein Auslaufmodell. Und die Jungen pfeifen angeblich ganz drauf. Wird es so passieren?
Ich höre immer wieder Stimmen, die sagen, das eigene Auto spiele keine Rolle mehr. So ist es natürlich nicht. Aber natürlich werden künftig Themen wie Carsharing und neue Nutzungskonzepte als Ergänzung sinnvoll sind. Und wir werden natürlich mehr Leute haben, die kein eigenes Auto mehr besitzen, weil es in der Stadt für viele unpraktisch ist. Diesen Trend gibt es, speziell in Metropolen. Trotzdem gehe ich davon aus, dass die Anziehungskraft des Automobils groß bleibt, weil das, was wir heute mit Auto und Mobilität verbinden, weit mehr als Transport ist. Es geht um Emotionalität, persönliche Freiheit, Identität. In China ist das Auto ein besonders wichtiges Statussymbol, dort haben hundert Millionen Lust auf ein eigenes Auto. Und in Amerika ist das Auto ohnehin die Basis des Alltagslebens.

Herbert Diess muss auch Angela Merkel bei Laune halten
Herbert Diess muss auch Angela Merkel bei Laune halten © APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Es bleibt also beim Auto?
Da bin ich zuversichtlich. Ich glaube sogar, dass die Autoindustrie eine große Zeit vor sich hat. Weil es in den nächsten 15 Jahren viel an negativen Aspekten verliert und emissionsfrei wird. Was wir an Sensoren, Rechenleistung und Cloud in das Auto hineinpacken, wird dazu führen, dass die Unfallzahlen massiv zurückgehen. Es wird uns Aufgaben abnehmen, beim Einparken, im Stau.

Volkswagen hat sich im großen Stil der Elektromobilität verschrieben. Bis 2025 will VW als erste Marke eine Million E-Autos verkaufen. Was macht Sie so sicher, dass ausschließlich dem Batterieauto die Zukunft gehört?
Da muss man in beide Richtungen schauen. Kommunikativ steht das E-Auto stark im Vordergrund. Aber wir entwickeln momentan rund 55 neue Autos, davon sind sieben rein elektrisch. Wir werden noch lange parallel fahren. Als Marke sind wir sehr stark in China vertreten, mit 14 Prozent Marktanteil, da sind wir mit großem Abstand Marktführer. China setzt stark auf Elektro mit klaren politischen Vorgaben. Deshalb werden wir allein in diesem Markt im Jahr 2025 rund 600.000 Elektroautos verkaufen, um unsere Position zu halten.

Reden wir von den Hürden: Wann fallen die Preise, wann steigt die Reichweite, wann steht eine taugliche Infrastruktur?
Eine wesentliche Hürde ist die Infrastruktur. Die größte Angst des Kunden ist, irgendwo liegen zu bleiben. Daran wird gearbeitet. Der Konzern hat mit Daimler, BMW und Ford ein Konsortium gegründet und wir werden europaweit bis 2020 eine flächendeckende Schnellladeinfrastruktur an den Autobahnen schaffen. Bei der Reichweite wird es je nach Batteriegröße von 300 bis über 600 Kilometer gehen, später vielleicht darüber. Es ist eine Frage der Kosten und des Gewichts. Die Technik und die Kosten entwickeln sich schneller als gedacht.

Volkswagen hat für das Elektroauto in Golf-Größe einen Preis von 30.000 Euro angekündigt. Bleibt es dabei?
Ja. Das gilt noch immer.

Ist an den Rohstoff-Ressourcen für Batterien zu zweifeln?
Nein, Lithium gibt es ausreichend, der Bedarf an Kobalt ist ebenso abdeckbar, da geht es lediglich um Abbaukapazitäten und darum, ob das nachhaltig geschieht und das Material aus politisch stabilen Regionen kommt. Und Nickel ist ebenfalls ausreichend verfügbar.

Kann das Elektroauto von 2020 schon eine erste Wahl sein?
Ja, kann es, für Menschen, die nicht täglich 300 Kilometer oder mehr fahren müssen, und davon gibt es genug. Aber für einen Vertreter beispielsweise, der täglich viele Hunderte Kilometer unterwegs ist, wird das Elektroauto bis auf Weiteres kein Thema sein.

Der fährt also weiter Diesel. Aber läuft da die Uhr nicht gerade ab?
Nein, der Diesel wird noch für längere Zeit eine wichtige Rolle spielen. Und wir setzen auch keinen Zeithorizont. Der Diesel bleibt gerade in den schweren Fahrzeugklassen und auf der Langstrecke vorerst der effizienteste Antrieb. Wir investieren weiter in die Diesel-Technologie und arbeiten intensiv an seinen Umweltwerten. Aber natürlich kommt es schon zu Verschiebungen, die Diesel-Anteile gehen zurzeit zurück.

Die Diesel-Affäre hat bei den Kunden trotz aller Verärgerung zu keiner Kaufverweigerung geführt und der Konzern fährt wieder auf Rekordkurs. Dennoch hängt der Skandal Volkswagen seit mehr als zwei Jahren wie ein Mühlstein um den Hals und sorgt fast täglich für Schlagzeilen. Wann wird Ruhe einkehren?
Wir haben Vertrauen eingebüßt, und Vertrauen gewinnt man nicht in ein paar Monaten zurück. Und die rechtlichen Auseinandersetzungen werden uns noch jahrelang begleiten. Die Marke Volkswagen hat besonders gelitten, weil sie immer im Brennpunkt gestanden ist. Es wird noch dauern, bis alles vollständig aufgearbeitet ist und wir darüber hinweg sind.

Wohin steuert Volkswagen? Wo sehen Sie die Marke in zehn Jahren, wofür wird sie stehen?
Wir haben einen Zehn-Jahres-Plan mit einem wichtigen Zwischenschritt 2020. Und in dieser neuen Zeit wollen wir bei den elektrischen und hoch vernetzten Autos Weltmarktführer werden. Wir haben eine Markenpositionierung, die wir „Top of Volume“ nennen. Dabei wollen wir uns von den Volumenherstellern differenzieren mit der besten Produktsubstanz, der besten Technologie und Qualität. Wir wollen überall einen Tick besser sein als die anderen.

Was muss ein Weltmarktführer in zehn Jahren können?
Er muss die Autos im Antriebsstrang elektrifizieren und damit auf den wichtigsten Märkten der Welt bestehen können. Und man muss in der Lage sein, das Fahrzeug wirklich vollständig ins Internet zu integrieren. Der Kunde erwartet, dass sein Auto ähnlich dem Smartphone voll vernetzt und updatefähig ist, dass er kontinuierlich Zusatzdienste aus dem Internet bekommt. Er wird erwarten, dass sein Auto auf Teilstrecken autonom fährt. Hier wird sich in den nächsten Jahren dramatisch viel entwickeln, es wird ein neues Fahrerlebnis geben. Unser Anspruch ist es, dass Volkswagen den technischen Wandel an vorderster Stelle mit vorantreibt und für viele Kunden nutzbar macht. Wenn Sie so wollen, demokratisieren wir die Innovationen.

Die Marke VW sorgt mit weit mehr als sechs Millionen Fahrzeugen fast für zwei Drittel des Konzernvolumens, erzielt aber eine vergleichsweise jämmerliche Marge. Wie hoch legen Sie die Latte bei der Profitabilität?
Vor der Dieselkrise lag die Marge bei 1,8 Prozent, jetzt sind wir bei rund vier. Aber das ist immer noch zu wenig. In unserem Geschäft braucht man eine Mindestmarge von vier Prozent, sonst kann man die Bestandserhaltungsinvestitionen nicht tätigen. Sechs Prozent brauchen wir aus meiner Sicht künftig als Untergrenze, um wirklich zukunftsfähig zu sein.

Mit KTM-Chef Stefan Pierer verbindet Diess eine langjährige Freundschaft, Volkswagen-Großaktionär Wolfgang Porsche gibt ihm Rückendeckung im Konzern
Mit KTM-Chef Stefan Pierer verbindet Diess eine langjährige Freundschaft, Volkswagen-Großaktionär Wolfgang Porsche gibt ihm Rückendeckung im Konzern © OLIVER WOLF

Werden wir in zehn Jahren noch alle derzeit am Markt vertretenen Marken sehen? Und: Sind neue Spieler in Sicht?
Was ich sagen kann: Volkswagen wird in zehn Jahren noch da sein. Für neue Spieler bietet sich jetzt ein gutes Zeitfenster. Aber einfach ist es nicht.

Wird Tesla überleben?
Es wird davon abhängen, ob Tesla die Skalierung schafft und ins Volumen kommt. Und wie sich der Markt für Elektroautos global entwickelt. Dann kann Tesla erfolgreich sein. Ich habe Respekt vor Tesla. Tesla ist sehr schnell, auch weil man sich nur auf den E-Antrieb konzentriert. Die Autos sind gut gemacht, auch technisch. Tesla-Fahrer sind immer im Internet, sie bekommen Updates und sprechen immer mit Tesla selbst. Und dieser Kontakt ist wichtig, künftig auch für uns. Dazu hat Tesla kein Vertriebsnetz, alles ist „on retail“. Auch wir sind stark, verfügen über top technisches Know-how, ein leistungsfähiges Produktionsnetzwerk und können weltweit skalieren, das heißt, neue Produkte schnell in großen Mengen einführen.

Wo wollen Sie Tesla stoppen?
Genau da, 2020, wenn wir mit unseren Elektroautos loslegen. Die werden so viel können wie Tesla, an einigen Stellen sogar einen Tick mehr und dabei sind wir nicht in deren Preisklasse. Das werden Autos für Millionen und nicht für Millionäre. Wir werden unsere Stärken ausspielen und gleichzeitig in Europa und China mit hohen Stückzahlen in einen vorbereiteten Handel kommen.

Muss man sich vor den Chinesen fürchten?
Ich nehme die Wettbewerber aus China sehr ernst. Die Chinesen lernen rasend schnell, die Elektroautos sind heute auf internationalem Stand. Ich gehe davon aus, dass sie in den nächsten Jahren auch auf den Weltmarkt kommen.

Wann werden Sie sich von einem selbstfahrenden Volkswagen ins Büro bringen lassen?
Ein vollautomatisches Auto ohne Lenkrad, das überall fährt, wird noch dauern. Aber dass wir in relativ gut kontrollierbarer Umgebung, etwa auf der Autobahn, das Steuer loslassen und über längere Strecken automatisch fahren, das wir schon in wenigen Jahren möglich sein.