Unter den Topmanagern der Automobilindustrie ist Carlos Ghosn der Weltbürger (so auch der Titel seiner Autobiografie): geboren in Brasilien, aufgewachsen im Libanon, gereift und ausgebildet in Paris. Doppelstaatsbürger, fünfsprachig, Wohnsitze in Paris, Tokio, Rio. Seine ersten Sporen verdiente sich Ghosn zunächst bei Michelin, ehe er als Sanierer zu Renault stieß und dann für die Franzosen bei Nissan die Kastanien aus dem Feuer holte.
Der Weltbürger
Die Rettung des japanischen Herstellers, an dem Renault 43 Prozent der Anteile hält, war der Ritterschlag des knallharten "Cost Killers". Seit 2005 ist Carlos Ghosn als Doppelchef von Renault-Nissan der uneingeschränkte Herrscher der asiatisch-europäischen Allianz, die sich über die Zeit zu einer fein austarierten Partnerschaft auf Augenhöhe entwickelte und in der immer mehr Synergien gehoben und Kosten gespart werden. Dass ihm nebenbei mit Dacia die höchst erfolgreiche Etablierung einer Billigmarke gelang, unterfütterte seinen Ruf als genialer Stratege. Und auch der Flirt mit Daimler hat das Potenzial für eine dauerhafte Liaison.
Der Coup
Der letzte große Coup gelang dem heute 62-Jährigen aber erst vor wenigen Tagen. Der Einstieg bei dem von einem Abgasskandal erschütterten japanischen Autobauer Mitsubishi zum Schnäppchenpreis von 1,9 Milliarden Euro hat es in sich. Denn mit einem Mehrheitsanteil von 34 Prozent sichert sich die von den Franzosen angeführte Allianz nicht bloß die Kontrolle über die Marke, sondern beschleunigt als neue Kraft Richtung Auto-Olymp und rückt den drei globalen Giganten Toyota, Volkswagen und General Motors auf den Pelz.
Fakt ist, dass Renault und Nissan mit ihren Marken heuer den Absatz auf zehn Millionen Fahrzeuge steigern wollen und damit zumindest einen Stockerlplatz im Visier haben. Wobei Mitsubishi eine Million beisteuern soll. Innerhalb der Allianz ist freilich Nissan der Wachstumstreiber: Die Japaner, glänzend auf den Boommärkten USA und China unterwegs, steigerten ihre Verkäufe in den letzten acht Jahren um gut 40 Prozent. Als einziger Klotz am Bein gilt derzeit lediglich Avtovaz: Der Lada-Hersteller leidet unter der Schwäche des russischen Marktes, der sich seit 2012 halbierte.
Der Joker
Mitsubishi soll eng mit der Allianz verwoben werden. Zunächst will man den Imageschaden - entstanden durch Manipulationen - beheben. Dann könnte sich die aktuell umsatzschwächste japanische Marke für die Allianz aber als Joker entwickeln. Gilt Mitsubishi doch in jenen Schwellenländern in Südostasien, wo in den nächsten Jahren ein nicht unwesentlicher Wachstumsschub erwartet wird, als angesehen und beliebt. Mit seinem Acht-Marken-Reich (Renault, Nissan, Mitsubishi, Dacia, Samsung, Infiniti, Lada) ist Ghosn endgültig einer der machtvollsten Player der Branche und steht am Zenit seiner Karriere.
Dennoch verweigert Paris dem exzentrischen und zu großen Inszenierungen neigenden Konzernboss die Wertschätzung. Seine Gage - zuletzt 15 Millionen Euro - ist der französischen Regierung ein Dorn im Auge. Dass der Staat kürzlich den Aktienanteil bei Renault wieder erhöhte, war sicher nicht im Sinne von Carlos Ghosn.