Der Volkswagen-Konzern ist wieder einmal spät dran. Denn während Kia und Hyundai und sogar Opel schon dezidiert Elektroautos verkaufen, hechelt der Marktführer dem Trend noch mit umgebauten Ups und Golfs hinterher.

Doch Frank Bekemeier lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Der Wolfsburger Veteran leitet die Entwicklung des ID Neo, mit dem die Niedersachsen endlich mitschwimmen wollen auf der elektrischen Welle. Denn als wäre der Anspruch, dass der elektrische Erstling zum Golf einer neuen Generation werden und Elektromobilität zum Massenphänomen machen soll, nicht schon hoch genug, ist er auch das erste Auto auf einer neuen Architektur, die als Modularer Elektrizitätsbaukasten (MEB) den gesamten Konzern in die neue Zeit führen soll.

Nicht weniger als 27 Autos werden aus diesem MEB allein bis 2022 für die verschiedenen Marken entstehen. „Schließlich hat der MEB mit dem MQB von Golf & Co nicht viel mehr gemein als ein paar Scharniere, die Türgriffe und den 12-Volt-Akku“, sagt Bekemeier. „Alles andere ist von Grund auf neu.“

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Der ID Neo misst deshalb zwar wie der Golf etwa 4,25 Meter, hat aber einen um etwa zehn Zentimeter größeren Radstand und bietet auf der Rückbank entsprechend mehr Platz. Erst recht, weil auf dem MEB der Mitteltunnel für den Allradantrieb ausgedient hat. Er hat das futuristischere Cockpit mit einem winzigen Display hinter dem Lenkrad und einem riesigen Touchscreen daneben, er nutzt die nächste Generation Head-up-Display mit dreimal so großer Projektionsfläche und Grafiken in Augmented Reality und bis auf die Fensterheber kommt er ohne haptische Schalter aus, sondern setzt voll auf eine Sensorbedienung.

Und als wäre das nicht schon Revolution genug, baut VW neben einer Sprachsteuerung auch noch eine neue Mensch-Maschine-Schnittstelle ein: Eine LED-Leiste unter der gesamten Frontscheibe visualisiert die Abbiegehinweise der Navigation, macht auf eingehende Telefonate aufmerksam oder zeigt den Akku-Füllstand.

Den größten Unterschied macht aber der Antrieb: Er ist in der neuen Architektur ähnlich leicht skalierbar wie Radstand oder Spurweite und erlaubt zwei Motoren mit bis zu 80 kW vorn und 150 kW hinten sowie Akkus mit mehr als 100 kWh dazwischen. Die können mit bis zu 125 kW und später auch induktiv geladen werden: „Die Technik dafür haben wir im Baukasten eingeplant“, sagt Bekemeier. Für den Neo allerdings beschränkt sich der Baureihenleiter zunächst auf den Heckmotor und plant mit drei Akkupaketen, die WLTP-Reichweiten zwischen 330 und 550 Kilometern abdecken sollen.

Auch wenn alles neu ist, zielt der ID auf eine vertraute Kundschaft. „Denn wir wollen vor allem Menschen ansprechen, die heute einen Golf kaufen“, sagt Frank Welsch. Deshalb wirbt der Entwicklungsvorstand auch mit den gleichen Eigenschaften wie bei seinem bisherigen Bestseller. Verlässlich und im positiven Sinne alltäglich soll der Neo fahren. Klar, beschleunigt der ID mit über 300 Nm Drehmoment von der ersten Millisekunde an beim Ampelstart mit quietschenden Reifen und wischt auf der Landstraße beim Überholen locker am Vordermann vorbei.

Aber genauso selbstverständlich ist es bei höheren Geschwindigkeiten mit der Elastizität nicht ganz so weit her. Und ohne Scham gesteht Welsch ein, dass er den Neo zwischen 160 und 180 abregeln wird. Wer mehr Fahrspaß will, soll einen Audi e-tron oder einen Porsche Taycan kaufen. Oder er soll warten, bis ein elektrisches Pendant zum GTI entwickelt wird.
Zumindest auf der ersten Testfahrt am Rande der Abstimmung am Kap der Guten Hoffnung lässt der Prototyp aber keine großen Wünsche mehr offen. Zwischen den Sonntagsfahrern auf der Garden Route schwimmt man locker und lässig mit, wenn einer der Touristen zu lange aus dem Fenster schaut, reicht ein Kick-down, schon ist man vorbei. Und mit ein bisschen Übung kommt man auch mit einem Pedal durch den etwas zähflüssigen Verkehr.

Wer an dem neben das Lenkrad gerückten Wählschalter von D auf B stellt, hat jedenfalls so viel Rekuperationsleistung, dass er die mechanische Bremse kaum noch braucht. Und wenn man sich einmal verfahren sollte, freut man sich an einem überraschend kleinen Wendekreis. Weil es im einstigen Motorraum nicht mehr so voll ist, können die Vorderräder weiter einschlagen. Damit liegt der Neo auf dem Niveau des VW up – nur dass der einen guten halben Meter kürzer ist.



Natürlich fehlt der Software fürs Infotainment noch der letzte Stand, die Lenkung ist Welsch noch nicht direkt genug, das Abrollgeräusch der ungewöhnlich großen Reifen ist ein bisschen laut, das Anfahren bisweilen noch ein bisschen ruckelig und dem Fahrwerk würde ein bisschen Feinschliff nicht schaden. Bei anderen Herstellern wäre das in ein paar Monaten erledigt und die Markteinführung könnte spätestens im nächsten Sommer starten.

Doch Volkswagen wäre nicht Volkswagen, wenn sich die Niedersachsen dafür nicht etwas länger Zeit ließen. Deshalb müssen die Kunden bis Anfang 2020 warten, ehe sie für einen Einstiegspreis von knapp 30.000 Euro endlich auch bei VW so richtig auf der elektrischen Welle reiten können. Aber jemand wie Frank Bekemeier lässt sich eben nicht hetzen.

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