Im Eiltempo: neuer Vorstand, neues Glück, Audi stand vor einem Neubeginn, dann kam Corona. Wie verändert all das die Neuausrichtung?

HILDEGARD WORTMANN: Audi hat eine unheimlich starke Vergangenheit. Die Geschichte ist von ­einem Pioniergeist geprägt, der in der DNA der Marke liegt. Nehmen Sie den Slogan ­„Vorsprung durch Technik“, der schon fast 50 Jahre alt ist. Doch was heißt Vorsprung heute? In den letzten Jahren und ­Jahrzehnten bedeutete Vorsprung: schneller höher, weiter, ein paar PS mehr. Jetzt de­finieren wir Vorsprung in dieser neuen Ära der Mobilität neu. Das Entscheidende ist, dass man nicht mehr das klassische Autoquartett – schneller, höher, weiter – spielt. Es geht nun darum, einen Beitrag für die Gesellschaft zu ­leisten, deutlich mehr werteorientiert zu sein.

Sie haben bei Ihrem Amts­antritt bei Audi auch kritische Worte gefunden. Ich zitiere: „Wir müssen weg vom Kalten, Technokratischen. Wir wollen nahbarer, wärmer, emotionaler und erlebnisorientierter werden. Es geht darum, Modernität, Progressivität, Lebensgefühl und Zeitgeist zu vermitteln. Wir müssen die Marke verjüngen.“ Wird Vorsprung durch Technik durch Vorsprung durch Zeitgeist abgelöst?

WORTMANN: Am Anfang hat es geheißen, den Leitspruch „Vorsprung durch Technik“ müsse man abschaffen. Ich habe gesagt: Nein. Denn dieser drückt für mich eine Ambition aus, dafür steht das Unternehmen. Vorsprung bedeutet eben nicht nur, noch mal 10 PS draufzusetzen, Vorsprung muss auch eine Geisteshaltung sein, Vorsprung muss den Zeitgeist reflektieren. Vorsprung heißt, zu verstehen, was die Menschen bewegt. Gerade in Coronazeiten. Die Covid-19-Krise ist, was sie ist: eine Krise. Gleichzeitig ist sie für mich ein Charaktertest für die Gesellschaft. Wie entwickelt sich die Gesellschaft in dieser schweren Zeit? Und wie entwickeln sich Marken?

Die Marken wollen letztlich Autos verkaufen.

WORTMANN: Als die Corona-Pandemie losging und der Lockdown kam, war es für mich wichtig, als Erstes eine Haltungskampagne unter dem Hashtag #AudiTogether zu starten. Zu zeigen: „Wofür stehen wir?“ Da ging es nicht darum, Werbung für unsere Autos zu machen, sondern darum, eine Haltung der Marke auszudrücken. #AudiTogether hat das ex­trem gut verkörpert, weltweit. Das ist, glaube ich, was Sie als Zeitgeist bezeichnen.

Nicht nur Audi befindet sich in der Flügelzange zwischen „Fridays for Future“ und SUV-Skepsis – rund 44 Prozent der Verkäufe sind SUVs, die den Zeitgeist treffen.

WORTMANN: Ich habe einen Riesenrespekt davor, was von „Fridays for Future“ auf die Beine gestellt wurde. Das ist ja kein kurzlebiger Trend, sondern eine nachhaltige Entwicklung, die wir sehen und ernst nehmen müssen. Wir können diese jungen Menschen nur mit Authentizität und Klarheit überzeugen und nicht mit irgendwelchen Werbeparolen.

Hildegard Wortmann ist Mitglied des Vorstands der Audi AG/Vertrieb und Marketing
Hildegard Wortmann ist Mitglied des Vorstands der Audi AG/Vertrieb und Marketing © Oliver Wolf

Aber gerade der elektrische e-tron ist ein Beispiel für den Zwiespalt. Die einen sagen zu groß, zu schwer, andere sind begeistert. Wie überzeugen Sie Skeptiker?

WORTMANN: Einfach rein­setzen und fahren! Die Haptik, die Digitalisierung, das Fahrgefühl  – das sind alles keine ­Kompromisse. E-Mobilität kann richtig Spaß machen. Sie ist ­keine Verzichtserklärung. Wir sind mit dem e-tron in seinem Segment weltweit Nummer eins. Die Zukunft ist elektrisch. Es gibt keine Alternative, wenn man Klimaschutz ernst nimmt. Die Gesellschaft ändert sich und Audi muss sich auch ­ändern. Der e-tron steht für diese Veränderungsbereitschaft, weil wir ein gesamthaftes Angebot haben und nicht nur ein weiteres Modell. Schritt für Schritt setzen wir die Elektrifizierung konsequent fort und nehmen dabei die Kunden mit, etwa mit dem e-tron GT oder dem Q4 e-tron.

Gibt es gar keine Zweifel an der E-Strategie?

WORTMANN: Audi war mit dem Volkswagenkonzern eines der ersten Unternehmen, die sich zum Pariser Klimaabkommen bekannt haben. Wir werden bis 2025 30 elektrifizierte Modelle haben. Aussteigen? Nein. Ich bin zutiefst überzeugt, Klimaschutz duldet keinen Aufschub, wir können nicht warten. Da können und werden wir auch nicht wegen der Corona­krise die Roadmap ändern.

Aber Sie bedienen nicht nur E-Auto-Kunden.

WORTMANN: Natürlich haben wir eine breite Palette unterschiedlichster Kundenbedürfnisse, wir sind etwa Marktführer in Österreich mit unseren Audi-Sportmodellen. Ich kann das diesen Kunden jetzt nicht von heute auf morgen verwehren. Kunden wollen sportliche Autos und auch SUVs. Deshalb ist der Trend so stark. Unsere Aufgabe ist es, Kunden Lösungen zu geben, wie man einen SUV eben auch ökologisch, nach­haltig fahren kann. Der e-tron kann das.

Die Verbrenner bleiben trotzdem in der Mehrheit.

WORTMANN: In die Glaskugel geschaut: Wir nehmen uns vor, dass wir bis zum Jahr 2025 etwa 40 Prozent unseres Absatzes mit E-Mobilität machen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir zu rund 60 Prozent Verbrenner verkaufen werden. Wir müssen also auf beiden Gebieten die besten Autos entwickeln, an der Effizienz der Verbrenner müssen wir genauso weiter arbeiten. Das tun wir.

Muss die Marke Audi auch weiblicher werden?

WORTMANN: Ich glaube, dass man Audi nicht an männlich/weiblich festmachen kann. Es geht darum, sich wieder auf die menschlichen Bedürfnisse, auf Werte, auf eine Haltung zu konzentrieren – und wenn Sie das machen, dann richten Sie eine Marke automatisch wärmer, nahbarer aus. Dann definieren Sie die Marke nicht über technokratische Leistungsdaten, sondern darüber, wofür sie steht. Wertgefüge sind ja nicht genderspezifisch. Als Frau möchte ich kein Auto fahren, das speziell für Frauen entwickelt ist, ich möchte in keine Schublade gesteckt werden.

Wie wollen Sie wieder eine Art Beziehung zu jungen Menschen aufbauen?

WORTMANN: Es gibt ja viele Elemente am Automobil, die junge Menschen total begeistern. Design, Ausstattungen, Digitalisierung, Konnektivität. Das sind Themen, die im Auto, in einer Marke stattfinden. Deshalb habe ich keine Angst, dass wir die Jungen verlieren. Die erreichen wir mit unserer Digitalisierung, mit unserer Konnektivität.

Sind Sie mit Audi schon dort, wo Sie hinwollen?

WORTMANN: Nein, da müssen wir Gas geben. Und das tun wir. Die Chancen, jetzt wieder Beziehungen aufzubauen, sind über die Digitalisierung größer als zuvor. Das ist jetzt der Moment zu zeigen, dass wir diesen Vorsprung wirklich leben. Am Ende des Tages wird das freilich am Erfolg gemessen. Wichtig ist, dass wir wieder im Angriffsmodus sind. Wir sind wieder da, machen Marktanteile gut.

Ist Carsharing für die Kundenbindung Junger Thema?

WORTMANN: Audi ist eine Premiummarke, wir müssen uns trauen, das Wort Luxus wieder in den Mund zu nehmen. Wenn man sich einen A8 anschaut oder einen e-tron, da sind die Gene eines Luxusguts drin, das ist eine Luxusmarke. Wir haben das vielleicht in der jüngeren Vergangenheit etwas anstauben lassen. Aber wir müssen dafür auch wieder den Mut aufbringen.

Warum betonen Sie das so?

WORTMANN: Als Premiummarke muss man sich auch bewusst dafür entscheiden, gewisse Sachen nicht zu tun. Wenn wir Carsharing anbieten, dann findet das nicht im Volumensegment statt, um von A nach B zu kommen. Sondern ich gebe Kunden die Möglichkeit, Audi zu erleben. Formate wie Audi on demand sind perfekt, das ist kein klassisches Carsharing. Wir geben Kunden flexibel die Möglichkeit, gezielt ein Modell auszuwählen.

Wo sehen Sie weitere Anknüpfungspunkte?

WORTMANN: Moon und Mooncity sind solche Anknüpfungspunkte, die sich mit E-Mobilitätslösungen beim Laden etc. beschäftigen. Eine Super­idee, wie man E-Mobilität im Gesamtökosystem erlebbar macht. Dazu gehört auch die Infrastruktur, es gibt über 5300 Ladestationen im e-tron Charging Service, eine tolle Leistung für Österreich. Wir legen den Fokus darauf, ein attraktives Systemangebot für E-Autos anzubieten und den Kunden damit das Thema Elektromobilität
nahezubringen.

Welche Rolle wird das Auto in Zukunft einnehmen?

WORTMANN: Eine andere. Um von A nach B zu kommen, dafür gibt es 1000 Alternativen. Das Auto ist mehr ein persönliches Erlebnis und das gilt es, wieder herzustellen. Das Interieur spielt eine ganz andere Rolle, es geht um Haptik, Oberflächen, Instrumentencluster, Bedien­elemente, Ambientelicht und nicht mehr ausschließlich um die Driving Machine. Der Innenraum wird zum Lebensraum, neben Wohnzimmer und Büro. Und wenn man das Inte­rieur als Lebensraum begreift, dann haben Sie neue Fokuspunkte. Gerade in den Staus der Megacitys spielt es eine große Rolle, dass ich mich im Auto wohlfühle und die Zeit gut nutzen kann.

Sie haben dafür einen speziellen Kundenbeirat – wann sehen wir erste Ergebnisse?

WORTMANN: Uns ist es immer wichtig, Input von außen zu bekommen, zu erfahren, welche neuen Trends und Technologien es gibt und wie sich Werte und Bedürfnisse in der Gesellschaft entwickeln. Der nächste Schritt: Wir binden die Kunden in die Entwicklung eines konkreten Showcars ein – und das Neue ist, wir starten den Entwicklungsprozess in Co-Kreation zwischen Kunden und Entwicklern. Wir haben in den Kernmetropolen der großen Märkte jeweils zehn Menschen ausgewählt, die modern, progressiv sind. Mit ihnen arbeiten wir an Fahrzeugkonzepten.  Diese progressiven Vordenker in einem Produkt-Entstehungsprozess immer wieder einzubinden, diese Konsequenz, die ist neu. Menschen ändern ihre Standpunkte, sie kriegen neue Perspektiven. Es ist eine Riesenchance, dieses Momentum aufzugreifen und nachhaltig Veränderungen einzubringen. Diese Zusammenarbeit mit Kunden wird uns nachhaltig verändern. Es wird keine fünf Jahre dauern, bis wir die Ergebnisse an einem Showcar sehen.

Das Beste kommt zum Schluss: Audi hat im Sponsormatch des Jahrzehnts BMW ausgestochen, man bleibt Sponsor von Bayern München. Jetzt gab’s das Triple …

WORTMANN: ... Ich habe Olli Kahn direkt angesprochen: „Was ihr da auf die Beine gestellt habt, ist sensationell. Wie schafft man das, ein Team so konsequent auf ein Ziel auszurichten – und dabei auch noch Spaß zu haben?“ Diese Siegermentalität ermöglicht erst Nachhaltigkeit. Auch bei der E-Mobilität wissen wir: Das ist kein Sprint, das ist ein Marathon. Und einen Marathon gewinnen Sie auch nur, wenn Sie den unbedingten Willen haben, und den hat Audi schon immer gehabt. Das gibt mir die Zuversicht, dass wir auch künftig vo­rankommen und progressiv sind – Vorsprung leben.            

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