Der Tourismus spielt in Tirol eine wichtige Rolle. Für das Jahr 2019 weist das Land fast 50 Millionen Nächtigungen aus, bei einem Umsatz von 8,4 Milliarden Euro. Nahezu jeder vierte Vollzeitarbeitsplatz in Tirol wird von der Tourismus- und Freizeitwirtschaft geschaffen. Die Coronakrise und die Vorfälle rund um Ischgl versetzen der Branche einen gewaltigen Dämpfer. Kaum haben Hoteliers und Gastwirte das Schlimmste ausgestanden, da treibt ein neues, altes Thema einen Keil in die symbiotische Masse aus Einwohnern und Gästen: der Tourismus auf zwei Rädern und die damit verbundene Lärmentwicklung.
Weil immer mehr Motorradfahrer die Passstraßen im Alpenpanorama genießen wollen, hat die Landesregierung für die heurige Saison ein Fahrverbot für Motorräder erlassen – mit vielen Einschränkungen. So gilt die Verordnung nur in den Bezirken Reutte und Imst (siehe Grafik) auf ausgewählten Straßen von 10. Juni bis 31. Oktober. Und sie gilt nur für "besonders laute" Motorräder mit einem eingetragenen Standgeräusch (Nahfeldpegel) über 95 Dezibel. Vor allem dieser Punkt sorgt für Unverständnis bei vielen Beteiligten.
Den Fokus auf die Fahrer legen
Für Nils Müller, Chef der Motorrad-Plattform "1000PS.at", ist die Verordnung reine Symbolpolitik der zuständigen Landesrätin Ingrid Felipe (Grüne). "Ich habe volles Verständnis, wenn die Anrainer über Lärm klagen", sagt er. "Aber diese Verordnung trifft die Falschen." Denn es gehe vielmehr darum, wie man sein Motorrad fährt. Meidet der Fahrer hohe Drehzahlbereiche, ist auch die Lärmentwicklung geringer. Müller sieht den Ball einerseits bei den Herstellern, die leisere Maschinen bauen müssten, und bei der Fahrergemeinschaft, wo mehr Bewusstseinsbildung und Rücksicht gefragt sei.
Die Verordnung führe dazu, dass Anwohner ihre legal gekauften Motorräder nun plötzlich nicht mehr oder nur eingeschränkt nutzen könnten und Hotellerie und Gastgewerbe, die sich auf diese Kundschaft spezialisiert haben, nach der Coronakrise die nächste Stornowelle ins Haus steht, wie etwa Motorrad-Hotelier Kai Bürskens vom Schönauer Hof bestätigt: "Stornierungen aufgrund der Verordnung gibt es bei uns täglich."
Biker - wie hier in Deutschland - protestieren gegen Fahrverbote:
Auch Motorrad-Gegner unzufrieden
Unmut regt sich aber auch bei den Befürwortern des Fahrverbotes. Denn nur rund sieben Prozent der in Österreich zugelassenen Bikes überschreiten den festgelegten Grenzwert von 95 Dezibel. Für die meisten Anrainer hat sich seit dem 10. Juni subjektiv an der alpinen Lärmkulisse nur wenig geändert. Das belegen auch die Zahlen der Tiroler Polizei. Am letzten Juniwochenende wurden im Außerfern 1140 Motorräder überprüft, nur bei 15 Fahrzeugen lag das eingetragene Standgeräusch über dem Grenzwert. Ein Problem sei zudem, dass die Verordnung bei ausländischen Fahrzeugen nicht immer anwendbar ist, weil andere oder gar keine Werte im Typenschein eingetragen sind.
Transitforumschef Fritz Gurgiser kämpft seit Jahren gegen den Lärm in den Bergen. Auch er zeigt sich von der Verordnung enttäuscht. "Wir haben täglich mehrere Tausend Motorräder auf den Passstraßen. Der Lärmpegel ist unerträglich geworden." Gurgiser bedauert, dass es ein Verbot braucht. "Mit Bewusstseinsbildung und Informationskampagnen haben wir es jahrelang probiert – ohne Erfolg." Diese Verordnung greife aber nicht und sei rundum fehlerhaft. Ein vom Transitforum eingebrachter Gegenentwurf fand keine Beachtung.
Vorbild Tirol?
Bei der Tiroler Landesregierung will man am Fahrverbot festhalten. Die Verordnung werde begleitend evaluiert und nach der Saison bewertet, heißt es. Demnach gebe es auch Interesse aus anderen Ländern.
In der Steiermark ist eine derartige Verordnung nicht angedacht. "Das würde das Problem nicht lösen, sondern nur verlagern", sagt Landesrat Anton Lang (SPÖ). Stattdessen wolle man auf Eigenverantwortung und Dialog setzen. Doch auch hier spaltet das Thema Lärmbelastung durch Motorräder die Bevölkerung.
Matthias Reif