Nach den Parlamentswahlen in Litauen am Sonntag zeichnet sich ein Machtwechsel ab. Nach Auszählung von 91 Prozent der Stimmen lagen nach offiziellen Angaben die oppositionellen Sozialdemokraten (SD) mit 20 Prozent vorn, gefolgt von der regierenden Vaterlandsunion der amtierenden Ministerpräsidentin Ingrida Simonyte mit 17 Prozent und der Anti-Establishment-Partei Nemunas-Morgenröte mit 15 Prozent. Die SD will nun eine Mehrheitskoalition bilden.
Koalition denkbar
"Ich denke, es wird eine Koalition mit zwei linken Parteien", sagte die SD-Vorsitzende Vilija Blinkeviciute am Sonntag. Als mögliche Partner nannte sie die Bauernpartei, die Grünen und die Partei "Für Litauen". "Ich denke, unsere Wähler, unser Volk, haben gesagt, dass sie einige Veränderungen wollen", sagte sie und verwies auf Einkommen, Wohnungsbau, Gesundheitsversorgung und Bildung als zentrale Anliegen. Sollte Blinkeviciute die Regierungsbildung gelingen, wird erwartet, dass sie Litauens harte Haltung gegenüber Russland und die hohen Verteidigungsausgaben beibehält.
Viele Bürger unzufrieden
Viele Bürger des baltischen Landes sind wegen stark gestiegener Lebenshaltungskosten und der Arbeit der Behörden unzufrieden. Der grundsätzliche Kurs des Landes, die Ukraine weiter zu unterstützen und wegen der Furcht vor einem russischen Angriff die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, steht aber nicht infrage.
Der baltische Staat mit seinen 2,9 Millionen Einwohnern hat ein gemischtes Wahlsystem, bei dem die Hälfte des Parlaments nach dem Verhältniswahlrecht mit Fünf-Prozent-Hürde bestimmt wird. Die andere Hälfte wird per Direktmandaten gewählt. Erhält hier kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen in seinem Wahlkreis, so kommt es dort in zwei Wochen zu einer Stichwahl. Ministerpräsidentin Simonyte hatte im Mai die Präsidentschaftswahl gegen Amtsinhaber Gitanas Nauseda verloren.
Die Sozialdemokraten versprachen im Wahlkampf, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich zu bekämpfen. Dazu wollen sie die Steuern für wohlhabendere Litauer anheben, um Mehrausgaben für das Gesundheits- und das Sozialwesen zu finanzieren. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs ist aber auch die nationale Sicherheit ein wichtiges Thema in Litauen, das zur Ostflanke der NATO und der Europäischen Union gehört und an die russische Exklave Kaliningrad sowie den russischen Verbündeten Belarus grenzt. Drei Viertel der Litauer glauben, dass Russland ihr Land in naher Zukunft angreifen könnte, wie eine Umfrage im Mai ergab.