Der bei einem Attentat schwer verletzte slowakische Ministerpräsident Robert Fico liegt weiter auf der Intensivstation. Der vor zwei Tagen angeschossene Politiker sei am Freitag erneut operiert worden, sagte sein Stellvertreter Verteidigungsminister Robert Kaliňák am Freitag in der Stadt Banská Bystrica. Der Regierungschef sei von vier Kugeln getroffen worden, die Verletzungen seien sehr schwerwiegend und Ficos Zustand sei weiter ernst, aber es gebe Fortschritte. Es werde einige Tage dauern, bis man die Aussichten auf die Genesung abschätzen könne.
„Nekrotisches Gewebe nach der Schusswunde wurde entfernt. Der Patient ist jetzt bei Bewusstsein, er ist stabil, aber er ist immer noch in der Notaufnahme untergebracht. Sein Zustand ist wirklich ernst“, sagte die Leiterin des Roosevelt-Krankenhauses, Miriam Lapuníková. „Die ersten vier Tage nach einer Schussverletzung sind die schwierigsten“, ergänzte Kaliňák. Er sah Fortschritte beim Gesundheitszustand des Ministerpräsidenten und äußerte sich trotz des ernsten Zustands zuversichtlich. Ein ärztliches Konsilium entscheidet voraussichtlich am Montag über das weitere Vorgehen, etwa eine Verlegung in die Hauptstadt Bratislava.
Orban wünscht rasche Genesung
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban wünschte seinem Kollegen unterdessen eine rasche Genesung. Selbst wenn sich Fico erhole, werde er in einer schwierigen Zeit vor der Europawahl Anfang Juni nicht arbeiten können, sagte Orban dem öffentlichen Rundfunk. „Wir stehen vor einer Wahl, die nicht nur über die Mitglieder des Europäischen Parlaments entscheidet, sondern zusammen mit der Wahl in den USA den Verlauf von Krieg und Frieden in Europa bestimmen kann“, sagte Orban. „In dieser Situation hätten wir Robert Fico und eine Slowakei, die für den Frieden ist, dringend gebraucht.“
Interview
Fico war am Mittwoch bei einer Begegnung mit Bürgern etwa 200 Kilometer von Bratislava entfernt von fünf Schüssen aus kurzer Distanz unter anderem in den Bauch getroffen worden. Mehrere Sicherheitsbeamte begleiteten ihn, konnten das Attentat aber nicht verhindern. Der festgenommene mutmaßliche Attentäter ist laut Medienberichten 71 Jahre alt, ein früherer Wachmann, Hobby-Schriftsteller und Fico-Gegner.
Fico erinnert sich an alles
Der designierte Staatspräsident Peter Pellegrini berichtete in einem Interview mit dem TV-Sender Ta3 am Donnerstagabend, dass Fico sich an alles erinnere, auch an den Anschlag und den anschließenden Transport in das Krankenhaus nach Banská Bystrica. Pellegrini hatte am Donnerstag Fico einen kurzen Besuch im Spital abgestattet und mit ihm gesprochen. Mit dem Attentat sei eine „rote Linie“ überschritten worden, erklärte der gewählte Staatspräsident. „Der Regierungschef ist dem Tod um Haaresbreite entgangen, es hätte genügt, wenn die Schusswunde oder mehrere Schusswunden ein paar Zentimeter weiter gelegen seien, und wir müssten heute vielleicht über ganz andere Dinge reden.“
Die scheidende Präsidentin Zuzana Čaputová will nach dem Attentat die politischen Spannungen abbauen und lud die Parteien dazu am Dienstag zu einem Gespräch ein. Das teilte ihr Sprecher am Freitag mit. Das noch bis 15. Juni amtierende Staatsoberhaupt und ihr Nachfolger Pellegrini wollen demnach bei dem Treffen gemeinsam auftreten. Pellegrini räumte ein, dass das gemeinsame Treffen schwierig sein werde. Er und Čaputová würden ein Dokument über Werte und die Ablehnung von Aggression und Gewalt vorbereiten. Der Text soll bei dem Treffen unterzeichnet werden.
Was über den Täter bekannt ist
Warnung vor Falschnachrichten
Das slowakische Regierungsamt warnte am Freitag Medien, Politiker und die Öffentlichkeit vor Falschnachrichten. Irreführende oder trügerische Aussagen oder Spekulationen würden nicht zur Beruhigung der Lage beitragen und unnötig zu Spannungen und Spaltung der Gesellschaft führen, hieß es. Die Medienstelle forderte außerdem die Medien auf, Diskussionen auf Websites und in sozialen Medien einzuschränken und von Sendungen mit konfrontativen oder widersprüchlichen Inhalten über das Attentat abzusehen.
Gegen den mutmaßlichen Attentäter wurden strafrechtliche Ermittlungen wegen versuchten Mordes aufgenommen. Die Wohnung des 71-Jährigen in der Kleinstadt Levice wurde nach Medienberichten untersucht. Der Mann sei ein „einsamer Wolf“, der mit der politischen Entwicklung in der Slowakei unzufrieden sei, hatte Innenminister Matúš Šutaj Eštok am Donnerstag erklärt. Er sei jedoch kein Mitglied einer radikalisierten politischen Gruppierung, weder einer rechten noch einer linken.
Auch Eštok forderte Politiker, Medien und Bürger auf, „die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen“. Der Polizei lägen Informationen über neue Drohungen gegen Politiker und Journalisten vor. Der öffentlich-rechtliche Sender RTVS, der nach den Plänen der Regierung aufgelöst werden soll, verschärfte seine Sicherheitsmaßnahmen. Ein Teil des Gebäudes des Slowakischen Rundfunks in Bratislava wurde am Donnerstag vorübergehend geschlossen.
Regierungskrise vorprogrammiert?
Sollte es zum Rücktritt des Regierungschefs aus gesundheitlichen Gründen kommen, würde damit gemäß der slowakischen Verfassung automatisch die gesamte Regierung zu Fall gebracht. Dass ein Ministerpräsident wegen eines Attentats die Amtsgeschäfte nicht fortführen kann, scheinen die Väter des Grundgesetzes nicht berücksichtigt zu haben.
Allerdings könnte der Wechsel an der Spitze der Regierung 2018 als Muster dienen. Damals hatte Fico unter öffentlichem Druck nach dem Mord am Journalisten Ján Kuciak sein Amt niedergelegt. Die Koalitionsparteien einigten sich auf Peter Pellegrini als gemeinsamen Kandidaten für die Nachfolge, der dann von der Präsidentin ernannt wurde. Solange Fico bis zur vollen Genesung nur pausiert, führen seine Stellvertreter in der Zeit die Regierungsgeschäfte weiter - mit Kaliňák als Erstem in der Reihenfolge.
Fico hatte im Oktober sein Amt angetreten, das er seit 2006 schon dreimal innehatte. Er hat seitdem schnell einen Politikwechsel eingeleitet, die Hilfe für die Ukraine zurückgefahren und sich um einen Dialog mit Russland bemüht. Die NATO machte er für den russischen Angriffskrieg mitverantwortlich. Zudem hat er eine Sonderstaatsanwaltschaft, die gegen Korruption vorgehen soll, entmachtet.