Haitis Regierung hat nach einem Putschaufruf und gewaltsamen Zusammenstößen den Ausnahmezustand verhängt. Mit sofortiger Wirkung trete für "einen Zeitraum von 72 Stunden, der verlängert werden kann" eine Ausgangssperre in Kraft, teilte die Regierung in Port-au-Prince am Sonntag mit. Das Notstandsdekret folgt auf eine dramatische Eskalation der Gewalt am Wochenende, die Teile der Hauptstadt lahmgelegt, die Kommunikation unterbrochen und zu Gefängnisausbrüchen geführt hatte.
Schwere Schießereien hatten die Bevölkerung in den vergangenen Tagen in Panik versetzt. Bandenchef Jimmy Cherizier, ein ehemaliger Polizist, hatte die kriminellen Gruppen aufgerufen, sich zusammenzuschließen, um Regierungschef Ariel Henry zu stürzen. Henry, der 2021 nach der Ermordung von Präsident Jovenel Moise an die Macht kam, hatte zuvor seinen Rücktritt für Anfang Februar zugesagt. Später kündigte er an, dass zunächst die Sicherheit wiederhergestellt werden müsse, um freie und faire Wahlen zu garantieren. Cherizier steht an der Spitze einer Bandenallianz und unterliegt UNO- und US-Sanktionen.
Gefängnis-Angriff
Bewaffnete Gruppen hatten in der Nacht zum Sonntag das größte Gefängnis des Landes angegriffen. Wie viele Häftlinge geflohen sind, blieb unklar. Es handle sich vermutlich um eine "überwältigende" Mehrheit, sagten mit der Angelegenheit vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation RNDDH saßen im Februar vergangenen Jahres 3687 Häftlinge in dem für 700 Personen ausgelegten Gefängnis ein.
Die Angaben in den Medien zu den Entflohenen variierten - von Hunderten bis nahezu allen knapp 3700 Inhaftierten war die Rede. Mehrere Menschen wurden bei dem Angriff am Samstag laut offiziellen Angaben verletzt, Medienberichten zufolge soll es Tote gegeben haben. Es soll auch einen weiteren Angriff auf ein Gefängnis östlich der Hauptstadt in Croix-des-Bouquets gegeben haben. Ob Inhaftierte dort auch flüchten konnten, wurde nicht mitgeteilt.
Die Bandengewalt in dem krisengeschüttelten Karibikstaat ist zuletzt wieder erheblich eskaliert, nachdem Interimspremierminister Ariel Henry zu Gesprächen um einen internationalen Polizeieinsatz in Kenia war. Nach monatelangen Verhandlungen und einem juristischen Tauziehen unterzeichneten Vertreter beider Länder am Freitag ein entsprechendes Abkommen. Die kenianische Regierung will demnach 1.000 Polizeibeamte in den armen Karibikstaat entsenden. Während der Abwesenheit des Regierungschefs haben kriminelle Banden in Teilen von Haitis Hauptstadt das öffentliche Leben mit Waffengewalt lahmgelegt. Schüsse fielen unter anderem am internationalen Flughafen. Mehrere Polizisten sind nach Regierungsangaben getötet worden.
Banden kontrollieren Hauptstadt
In dem laut „Miami Herald“ völlig überfüllten Gefängnis seien unter anderem mehrere Bandenanführer inhaftiert, aber auch Verdächtige im Zusammenhang mit der Ermordung des haitianischen Präsidenten Jovenel Moïse. Moïse war in der Nacht zum 7. Juli 2021 in seiner Residenz mit zwölf Schüssen getötet worden. Den Ermittlungen zufolge führten rund 20 kolumbianische Söldner im Auftrag mehrerer Drahtzieher die Tat aus. Laut US-Justiz lautete der Plan der Verschwörer ursprünglich, Moïse zu entführen und als Staatschef zu ersetzen. Die Hintergründe des Verbrechens sind noch immer nicht zweifelsfrei geklärt. Henry übernahm im Anschluss die Regierungsgeschäfte.
Seit der Ermordung des Präsidenten hat sich die Sicherheitslage in Haiti dramatisch verschlechtert. Brutal agierende Banden kontrollieren nach UN-Schätzung rund 80 Prozent der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince und weiten ihr Einflussgebiet zunehmend auch auf andere Teile des Landes aus. Die Gewalt verschärft die prekäre Versorgungslage - fast die Hälfte der elf Millionen Bewohner Haitis leidet laut Vereinten Nationen unter akutem Hunger.
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen mussten in den vergangenen Tagen fast 15.000 Menschen ihre Häuser verlassen. Haiti gilt als das ärmste Land Lateinamerikas.