Haben Sie schon vom Langackerhäusl gehört? Lang-was? So in etwa ging es uns im ersten Moment auch. Darum mussten wir uns das Kleinod im Mühlviertel an der österreich-deutschen Grenze mal näher anschauen. Langackerhäusl. Nicht nur der Lesart nach schimmert hier die idyllisch-tradierte Vorstellung von einem Ort auf dem Land durch. Das Zeit-Entrückte ist hier real, wird ganz bewusst gelebt, doch kontrastiert es unseren modernen Geschwindigkeitsalltag auf eine wunderbar erfrischende, künstlerisch-kreative Art. Aber der Reihe – oder besser: der absoluten Ruhe nach.

© Elisabeth Grebe

Das Langackerhäusl steht in der Marktgemeinde Kollerschlag in Oberösterreich am Ende einer unbefestigten Straße. Es ist ein Gebäude in Alleinlage, das 1885 erbaut, bis in die 1970er-Jahre bewirtschaftet und später als Ferienhaus genutzt wurde. Wälder und Felder umgeben das Grundstück. Damit ist die Natur ziemlich das einzige, das hier sicht- und hörbar wahrgenommen wird: die Vögel am Himmel, der Wind in den Bäumen, ein erfrischender Regenschauer zwischendurch. Online-Meetings? Ein Handy, das vielleicht sogar noch klingelt? Stress, der den Puls beschleunigt? Fehlanzeige, wie beruhigend!

© Elisabeth Grebe

Paris  Los – Angeles – OÖ

Ralf Stauss und Edward Richardson sind die Herren dieser Stille und Entschleunigung. Sie lernen sich vor Jahren in Paris kennen, wo Ralf als Grafikdesigner tätig und Edward privat unterwegs ist. Zusammen gehen sie nach Kalifornien, Edwards Heimat, genauer gesagt nach Los Angeles: Film-Metropole und Oscar-Hype, Stars und Sternchen, sehen und gesehen werden. Während Ralf als Kostümschneider für Theater, Film und Oper Karriere macht, verewigt sich Edward als Fotostylist, Dekorateur und Kreativdirektor für die fashion windows einer namhaften Kaufhauskette. Doch irgendwann wird es den beiden zu viel mit dem Druck und der Hektik, dem Lärm und der unsauberen Luft, dem ständigen Funktionieren-müssen bei immer weniger Muse für eigene kreative Freiheit. Also heißt es schließlich: Bye-bye, Los Angeles – Servus, Langackerhäusl!

© Elisabeth Grebe

Sie haben lange nach ihrem Ort der Ruhe gesucht, vor allem in Deutschland. Doch plötzlich stand das Langackerhäusl vor ihnen, zum Kauf noch dazu. 200 m2 Wohnfläche, 5.000 m2 Grundstück. Ein Traum von Raum, den Ralf und Edward nach ihrer endgültigen Übersiedlung im Jahr 2009 erstmal nutzen, um runterzufahren, durchzuatmen, die kalifornischen Jahre Revue passieren zu lassen. Dann kommt aus Übersee ein riesiger Container ihres Hab und Gut, und mit ihm öffnet sich ein neuer ungeahnter Horizont künstlerischer Tätigkeit inspiriert von: Papier! Umzugskartons stapeln sich, darin viele Verpackungen, Bücher, auch Planpapiere und Kladden.

Ralf und Edward beginnen, sich intensiv mit Papier als natürliches Material auseinanderzusetzen. Ist es möglich, sich in wunderschöner Natur von vorherrschenden Trends und Meinungen zu befreien? Sollte man sich stattdessen von der Weisheit und Schönheit der Natur leiten lassen, um neue kreative Ausdrucksformen zu finden, die sich zugleich aufs Ursprüngliche besinnen? Müssen künstlerisch dekorative Werke noch immer auch aus ökologisch bedenklichen Materialien bestehen?

© Elisabeth Grebe

Papier stilbildend

Kunstvoll beantwortet dies allein schon die Schmuckkollektion, die Edward im einstigen Kuhstall des Langackerhäusls fertigt, seinem heutigen Atelier: Klarheit und Strenge formen sich zu zeitloser Eleganz und überraschen durch raffinierte Details. Zuvor mischt Edward recycelte Papiere mit reinem Wasser aus der hauseigenen Quelle, drückt die Papier-Wasser-Mischungen (Pulpen) durch ein Sieb und trocknet sie als einzelne Blätter in der Sonne. Das entstandene handgeschöpfte Papier macht er dann mit natürlichen Pasten biegsam, schichtet es methodisch und bringt es in geometrische sowie organische Formen, um sie zu bemalen und zu ihrem finalen Werk zusammenzufügen.

Diese handwerkliche Kunstfertigkeit braucht immer wieder auch Zeit zum Experimentieren. Sie findet sich heute in Armreifen mit kraftvollen Farben genauso wieder wie in Halsketten, die dem Althergebrachten eine klare Ansage machen. Dazu Ralf: „Schmuck wird tendenziell als Luxus wahrgenommen, der Status und Exklusivität signalisiert. Die Herstellung solcher Stücke aus Papier untergräbt diese Illusion und stellt ein alternatives Produkt dar, das jedem ein tieferes Gefühl von Selbstvertrauen und Zufriedenheit vermitteln kann.“

© Elisabeth Grebe

Jedes Schmuckstück ist ein Unikat. Das gilt auch für die Taschen, die Ralf in seinem Studio in der oberen Etage kreiert. Auch sie werden mit handgeschöpftem Papier gefertigt. Fast ausschließlich pflanzlichen Ursprungs, kombinieren sie Schlichtheit mit ausgeprägten Strukturen sowie taktilen Oberflächen und sind mehr als nur schön anzuschauen. Die Taschen fühlen sich auch großartig an, beeindrucken zudem durch ihre Langlebigkeit und Wertbeständigkeit. Womit Ralf nahtlos an Dekorationsobjekte anschließt, mit denen er experimentiert: Täuschend echt sehen sie nach Keramik aus, sind aber ebenso aus? Natürlich! Damit bringen sie nur einen Bruchteil echter Keramik auf die Waage und akzentuieren Arbeits- und Wohnräume auf ihre ganz eigene, authentisch effektvolle Weise. So verhält es sich mit Allem, was Ralf und Edward dank ihrer Faszination für kreative Prozesse und ihrer autodidaktischen Kunstfertigkeit erschaffen – und was internationale Mode-, Design- und Interieur-Shops nur allzu gerne in ihrem Sortiment haben.

Die Natur ist einfach die größte Inspirationsquelle für zwei Kreative wie Ralf und Edward. Wir dürfen gespannt sein, was Waldspaziergänge oder entspanntes „Werkeln“ im eigenen Obst- und Gemüsegarten noch hervorbringen werden. Funktionale dekorative Kunst auf alle Fälle, natürlich.