Die Ohren kennen keine Kurzarbeit. Sie sind rund um die Uhr im Einsatz. Umso einschneidender ist es, wenn der Hörsinn nachlässt. An diesem Punkt beginnt die Arbeit von Hörakustikern. Theoretisch. Praktisch ist es meist später. „Oft ist die Hemmschwelle groß, leider dauert es im Schnitt sieben bis zehn Jahre, bis sich Betroffene helfen lassen“, weiß Lukas Schinko. Schinko ist selbst Hörakustikmeister und seit 2011 Geschäftsführer von Neuroth. Das von ihm in vierter Generation geführte Familienunternehmen mit Hauptsitz in Graz zählt zu den führenden Anbietern in Europa.
Die Geschichte
Die Neuroth-Geschichte beginnt 1907, als Paula Neuroth, selbst von einer Hörminderung betroffen, das „1. Spezialhaus für Schwerhörigenapparate“ gründet. Siebzig Jahre später übernahm ihre Nichte, Waltraud Schinko-Neuroth, vom Vater das Unternehmen - und machte es zu einer Marke. 1980 übersiedelte das Unternehmen in die Steiermark. 2011 übernahm die nächste Generation das Zepter.
Die Unternehmensübergabe
„Unsere Eltern haben die Übergabe sehr gut für uns vorbereitet, ich bin sehr stolz auf diesen Prozess“, beschrieb Schinko die Staffelholzübergabe einmal. „Es hätte ganz anders kommen können – zum Beispiel, wenn die Elterngeneration nicht loslassen und sich die junge dadurch nicht entwickeln kann. Oder sie steht vor der Herausforderung, dass keines der Kinder das Unternehmen haben will.“
"Er ist jetzt der Chef"
Das war bei Lukas Schinko nicht der Fall. Er wusste bereits mit 16 Jahren, dass er Akustiker werden und in der Firma arbeiten wollte. - Und hat das Geschäft von der Pike auf gelernt. Nach seinem HTL-Abschluss hat er die Akustiker-Lehre und später den Meister gemacht. 2007 stieg er schließlich operativ in das Unternehmen ein, vier Jahre später saß er im Chefsessel.
„Es war immer ein Herzenswunsch von mir, dass eines meiner drei Kinder unser Familienunternehmen übernimmt - aber ich habe keinen Zwang auf sie ausgeübt“, erinnerte sich Waltraud Schinko-Neuroth in einem Interview. Eigentlich war damals eine einjährige Übergangszeit ausgemacht. Sie begann im Oktober, aber schon zu Weihnachten räumte die Mutter ihr Büro: „Zwei Chefs, den Lukas und mich, diese Parallelstruktur hat unsere Mitarbeiter verwirrt. Also bin ich vorzeitig gegangen, bin mit meinen Sachen ins Privathaus übersiedelt. Da wussten alle Mitarbeiter: Er ist jetzt der Chef.“ Bei ihr selbst gestaltete sich der Wechsel anders. Ihr Vater übergab alters- und krankheitsbedingt eher ungeordnet. Daher sei es für sie wichtig gewesen, frühzeitig die Weichen zu stellen.
Familär trotz Wachstum
Heute betreibt Neuroth 270 Standorte in acht Ländern (Österreich, Deutschland, Schweiz, Liechtenstein, Slowenien, Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowina) und beschäftigt rund 1200 Mitarbeiter:innen. Kann man bei so einer Größe den Familiencharakter beibehalten? „Ich will nicht sagen, dass das Familiäre mit dem Wachstum verloren geht“, relativiert Lukas Schinko. Viel mehr werde es mit neuen Strukturen, Abläufen und Entwicklungen ergänzt.
Klaus Höfler