Ein amikales "Du" am Arbeitsplatz lässt zwischenmenschliche Grenzen verschwimmen und soziale Hierarchien schrumpfen. Sympathisch. Mit echter Freundschaft hat das lockere „Du“ aber freilich nichts zu tun – auch wenn es so klingt. Im Arbeitsalltag kann das - bei aller Begeisterung für Teambuilding, fürs „Wir“-Gefühl und für niederschwellige Beteiligungsmöglichkeiten - bisweilen zu Missverständnissen führen, die Grenze zwischen Privat und Beruf verschwimmen lassen und am Ende sogar der Qualität der Arbeit schaden. Das soll nicht heißen, dass man krampfhaft ein devotes „Sie“ verteidigen und sich jedem freundschaftlichen „Du“ verweigern muss. Aber zumindest ein bewusster Umgang schadet nicht.

Du oder Sie – was passt wo?

Eine allgemein gültige Antwort, ob man sich am Arbeitsplatz Duzen oder Siezen soll, gibt es nicht. Es gibt Branchen, in denen ein rasches „Du“ zum normalen Umgangston gehört, es gibt aber auch Berufszweige, wo es von Unprofessionalität, Respektlosigkeit oder Unwissenheit zeugt, wenn man das distanzwahrende „Sie“ als Anredeform nicht verwendet. So weit, so logisch. Was aber helfen kann, ist, sich der Vor- und Nachteile des Duzens bewusst zu sein.

Wenn das "Du" zum Nachteil wird

Unbestritten ist, dass ein „Du“ Hierarchiehürden, Altersgrenzen und kulturelle Barrieren überspringt und auf die Überholspur Richtung Integration und unbeschwertem Zusammengehörigkeitsgefühl führen kann. Es gibt aber auch Schattenseiten: Beispielsweise wenn mit der Nähe auch der Respekt voreinander schmilzt, wenn die Vertrautheit nur suggeriert, aber nicht gelebt wird oder das Private zu sehr in den Mittelpunkt rückt. Das mag nicht jeder – weil es auch in die andere Richtung ausschlagen kann und sich das Berufliche immer weiter in die Freizeit frisst. „Unter Freunden“ wird man sich ja wohl auch nach Büroschluss oder am Wochenende noch schnell um dieses eine E-Mail, diesen einen Rückruf, diesen einen Abendtermin kümmern können ...

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Schulterklopfen oder Streiten?

Zu viel Nähe macht konfliktscheu. Nicht, dass ein maximal harmonisches Arbeitsklima schlecht ist, aber manchmal verbessert sich die Qualität der Arbeit durch Reibung und Konkurrenz, Kritik und Konflikt. Wenn sich alle Kollegen als Freunde verstehen und man sich am gegenseitigen Schulterklopfen begeistert, wird es schwierig, sich und sein Tun kritisch zu hinterfragen. Was auch passieren kann: Private Schwierigkeiten werden allzu leichtfertig als Rechtfertigung für unzureichende Leistung herangezogen – weil „man kennt sich ja und wird das doch verstehen“. Das ist kein Plädoyer für stocksteife und rücksichtslose Hierarchiepyramiden, aber eine Warnung vor einem Missbrauch enger beruflicher Kontakte zu Lasten der Qualität der eigentlichen Arbeit.

Du Chef, sag „Sie“ zu mir!

Im betrieblichen Umfeld kann das „Du“ nur der hierarchisch höher Gestellte anbieten. Anders als im privaten Leben gilt dies grundsätzlich und unabhängig vom Alter. Ablehnen ist atmosphärisch heikel, braucht eine gute Begründung und sollte respektvoll passieren. Unter Gleichrangigen gilt: Wer länger in der Firma ist, darf dem anderen das Du anbieten, nicht umgekehrt. Und falls Sie das tun, dann bitte immer als ehrliches Anrede-Angebot, das auch abgelehnt werden darf.

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Duzen als Beleidigung

Eine Unhöflichkeit, Taktlosigkeit bis hin zur Beleidigung wäre das Duzen, wenn es absichtlich dazu genutzt wird, die Würde der Person zu verletzen. Duzen kann auch dann problematisch werden, wenn es selektiv eingesetzt wird, weil es dem Geduzten einen Sonderstatus verleiht, der zu atmosphärischen Störungen innerhalb einer Gruppe führen kann. Umgekehrt bedeutet das Duzen am Arbeitsplatz nicht unbedingt gleich ein freundschaftliches Miteinander. „Sie“ oder „Du“? Höflichkeit, Respekt und Wertschätzung sollten jedenfalls als Grundsubstanz in der Kollegenschaft vorherrschen.