Wenn in einer Biografie die Hauptperson auf Seite 100 gerade mal als Au-pair vorübergehend in ihre Geburtsstadt zurückkehrt, dann handelt es sich entweder um ein außergewöhnlich umfangreiches Buch, oder es gelten besondere Umstände. Bei "Die Spira" ist Letzteres der Fall. Ihr besonderes journalistisches Engagement sei ohne Kenntnis ihrer Herkunft und Familiengeschichte nicht verstehbar, meint Panzenböck und widmet sich zunächst ausführlich den Eltern der Filmemacherin. Dabei entsteht das Porträt einer linken jüdischen Familie, die für ihre politischen Überzeugungen nicht nur eintrat, ja sie förmlich zum Lebensinhalt machte. Vater Leopold Spira (1913-1997) war einer der prominentesten österreichischen Kommunisten, zeitweise Mitglied des Zentralkomitees und stramm moskautreu noch zu einer Zeit, als der stalinistische Terror und die Niederschlagung der Liberalisierungs- und Bürgerrechtsbewegungen in Ungarn und Tschechien längst große Teile der europäischen kommunistischen Parteien zum Abrücken des von Moskau diktierten Kurses gebracht hatten.

Zwei Fakten werfen ein bezeichnendes Licht auf die Tiefe dieser Prägung durch die Weltanschauung: Als sich Leopold Spira entschließt, auf strammer Linie zu bleiben, wird er auf Parteibefehl jahrelang mit seinem Cousin Hermann Langbein, mit dem er sich einst gleichzeitig zu den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg gemeldet hatte, kein Wort mehr wechseln, da dieser wegen seiner Kritik an Moskau als Renegat und Abweichler eingestuft wurde. Und auch Elizabeth Toni Spira, 1942 im Glasgower Exil geboren und 1946 mit ihrer Familie nach Österreich zurückgekehrt ("Weil die kommunistische Partei meinen Vater gerufen hat, um hier den Kommunismus aufzubauen, was ihm gottlob nicht gelungen ist"), machte anlässlich eines DDR-Jugendlager-Aufenthaltes 1955 ihre eigenen Erfahrungen mit dem real existierenden Sozialismus. Aus der jungen Frau, die über ihr Idol Stalin Zeitungsausschnitte sammelte wie andere über Fußball- oder Schlagerstars, wurde eine die Ansichten ihres Vaters kritisch betrachtende Tochter, die sich dennoch Zeit ihres Lebens nach dessen Anerkennung sehnte - und sie nie bekam. Ausnahme war "eine kleine Träne der Rührung", die sie in den Augen ihres Vaters entdeckte, als sie mit 29 ihr Doktorat in Publizistik machte. "Dann habe ich mir gedacht, wegen dieser scheiß kleinen Träne habe ich mich so angestrengt."

Zitate wie diese hat Panzenböck aus vielen Interviews mit und Filmen über Spira gesammelt. Als sie das einzige Mal länger mit der Journalistin gesprochen hat, war noch keine Rede von einer späteren Biografie. Spira war bereits sehr krank, die Atmosphäre "ruhig und freundlich. Und ich erinnere mich, dass ich das Bedürfnis hatte, von mir zu erzählen. Sie schaute mich mit ihrem vertrauenserweckenden und gleichzeitig durchdringenden Blick an. Man will sich ihr öffnen und weiß nicht, warum", schreibt Panzenböck und beschreibt gleichzeitig das Erfolgsgeheimnis der Fernseh-Journalistin, die Menschen zur Selbstdarstellung verführte. Für die Biografie, die auf Vorschlag von Spiras Witwer, dem Schauspieler Hermann Schmid, zustande kam, hat die Autorin unzählige Gespräche mit Freunden und Freundinnen, Wegbegleitern und Mitarbeitern Spiras geführt, frühere Lebensgefährten aufgespürt und im ORF-Archiv Spiras gesammelte Filme angesehen. Es ist ein durchaus ambivalentes Bild, das dabei zustande kommt, wenngleich nicht so ambivalent wie so manche Diskussion über ihre Sendungen, die mitunter als Sozialporno und Beihilfe zur Selbstdemontage der Gefilmten kritisiert wurden.

Man macht Bekanntschaft mit den journalistischen Anfängen beim Boulevardblatt "Express", wo sie die Titelgeschichte "Mann band 14 Hunde hinters Auto und gab Vollgas" erfand, als der Chefredakteur dringend einen Knaller brauchte, und mit ihrer Kampf-Zeit bei Claus Gatterers "teleobjektiv", wo sie mit Robert Dornhelm für Reportagen durch das Land fuhr und alle heißen Eisen, von der Ortstafelfrage bis zur Fristenlösung, in viel diskutierte Beiträge packte. Nach Einstellung des Magazins wollte Gerd Bacher die aufmüpfige Journalistin loswerden. Das wurde verhindert, indem sie aus der innenpolitischen Berichterstattung abgezogen wurde, um eine neue Sendereihe, die "Alltagsgeschichte", zu gestalten. "Fernab von der politischen Aktualität, so die allgemeine Überzeugung, könne sie nicht mehr viel anrichten", schreibt Panzenböck. Es war der Startschuss für eine viel diskutierte, höchst erfolgreiche Sendereihe, der 1997 mit den "Liebesg'schichten und Heiratssachen" ein bis heute erfolgreiches weiteres TV-Format folgte.

In den Schlusskapiteln des mit reichem Bildmaterial ausgestatteten Buches kommt Panzenböck Spira am nächsten. Ausführlich schildert sie manche der am meisten diskutierten Sendungen und lässt Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu Wort kommen. "Manchmal war sie ängstlich, grantig und verwirrt. Manchmal war sie bösartig, manchmal liebevoll, solidarisch, mütterlich", formuliert es ihre Mitarbeiterin Jennifer Rezny. Eine Frau voller Widersprüche eben.

(S E R V I C E - Stefanie Panzenböck: "Die Spira - Eine Biografie", Falter Verlag, 256 Seiten, 24,90 Euro)