Der Schraubenzieher lässt Schlimmes erahnen. Sobald der Prüfer diesen zückt, weiß man, dass es auf die obligatorische Lochsuche geht. Penibel werden die bekannten Schwachpunkte abgestochert, und wehe, an irgendeiner Stelle am Unterboden fährt der Fachmann durch das Metall – dann ist sofort klar, dass man das begehrte Pickerl wohl abschreiben kann. „Schaun S’, da ist er durch“, kam dann meist als lapidare Feststellung einer Durchrostung an einem tragenden Bauteil, was nicht selten das Aus für den fahrbaren Untersatz bedeutete. Paragraph 57a, der ultimative Autokiller, vollstreckt durch den gemeinen Schraubenzieher.
Dass alte Autos gerne rosteten, ist hinlänglich bekannt. Damals war die Hauptursache für die braune Pest der Einsatz von billigem Recyclingblech, dessen hoher Altmetallanteil für blankes Entsetzen sorgte, im doppelten Wortsinn: „Ich kann mich noch an meine Anfänge in der Autobranche vor 40 Jahren erinnern. Da gab es Autos, die neu unter dem Armaturenbrett schon rostig waren, weil es dort nur unbehandeltes Blech gab“, sagt Josef Harb, Bundesinnungsmeister für Fahrzeugtechnik und Urgestein des steirischen Autohandels. „Werkzeuge, die die Abkantungen in den Karosserieblechen machten, waren manchmal auch ein Problem. Jedenfalls haben wir viel Lehrgeld bezahlt, damit das jetzt alles kein Thema mehr ist.“
Bald warben Firmen mit einer schützenden Vollverzinkung und Fortschritte in der Versiegelung und beim Unterbodenschutz sowie der Einsatz hochwertigerer Bleche ließen diese Sorgen vor gut drei Jahrzehnten mehr und mehr in Vergessenheit geraten. Und tatsächlich gab es durch den höheren Anteil an maschineller Fertigung deutliche Qualitätssprünge zu verzeichnen. Durchgehend gleiche (und vor allem vorhandene) Lackschichten, eine galvanische Grundierung, natürlich auch die Blechqualität – alles Gründe, warum für Harb moderne Autos kaum mehr von der uralten Problematik betroffen sind.
Eine Tatsache, die vor allem für die Alpenregion sehr, sehr wichtig ist. „Alle Autos der Marken, die wir vertreiben, werden in Österreich vor der Auslieferung an den Kunden noch einmal nachkonserviert. Sie bekommen also eine zusätzliche Schicht Wachs verpasst“, so Harb. Das gründet nicht auf schleißigem Vorgehen der Hersteller. In den meisten Ländern ist eine entsprechende Vorsorge einfach nicht notwendig.
Dazu kommt noch eine kleine hiesige Besonderheit: „Mir wurde gesagt, dass wir vor allem in der Oststeiermark nicht nur das schärfste Salz, sondern auch den härtesten Splitt haben“, erläutert Harb. Auf heimischen Straßen hat es manch Vehikel also besonders schwer. Besagtes Streugut gibt sich die größte Mühe, die schützende Lackschicht zu durchbrechen, wobei die Frage nach den richtigen Mitteln für den optimalen Wintereinsatz immer nur mit einem Kompromiss zu beantworten ist:
Denn meist ist jenes Salz und jener Splitt, die am schonendsten mit dem Autoblech umgehen, auch das Schlechteste, wenn es darum geht, Eis aufzulösen und möglichst viel Traktion zu bieten. Gut zu wissen jedenfalls, dass die Rostvorsorge ab Werk immer besser geworden ist. Aber wie sieht es bei älteren Exemplaren aus? „Optisch triff t das auf jeden Fall zu“, sagt Rudolf Brauch, technischer Projektleiter beim ÖAMTC. „Obwohl die Blechstärken immer dünner geworden sind, sind die Karosserien dank zahlreicher Maßnahmen augenscheinlich nicht mehr so anfällig, wie das noch vor 20 Jahren der Fall war.“ Der Touringclub muss es schließlich wissen, gilt er in Österreich als einzige Institution, die historische Pickerldaten auswerten kann.
Eine Studie über die letzten zehn Jahre hat überraschende Erkenntnisse zutage gebracht: „Bei den sicherheitsrelevanten tragenden Bauteilen ist in diesem Zeitraum keine Verbesserung erkennbar“, erläutert Brauch. „Pro Jahr hat sich der Prozentsatz an schweren Mängeln aufgrund von Rostschäden kaum reduziert. Das Thema ist also immer noch relevant.“ Natürlich muss man hier ein wenig relativieren, denn Rost ist noch lange nicht gleich Rost. Oberfl ächlich dürfen Achskörper, Kotfl ügel und Unterboden ruhig ankorrodiert sein, da bewegen wir uns immer noch in der relativ harmlosen Kategorie der leichten Mängel. „Für uns sind echte Durchrostungen tragender Bauteile wichtig. Aber auch die Reibfl ächen der Bremsscheiben.“ Gerade diese Teile sind schließlich blankes Metall. Rost auf der erwähnten Reibfl äche, dem Teil der Bremsscheibe also,
auf dem der Bremsbelag rubbelt, muss stets ohne Schaden sein. Regelmäßiges Reinigen, um Schmutz- und Salznester abzuwaschen, helfen in diesem Fall natürlich nichts. „Wenigfahrern empfehlen wir daher, einmal im Monat kräftig zu bremsen.“
Keine Panik also, wenn der Prüfer mit dem Schraubenzieher des Schreckens anrückt, im Gegenteil. Meist wird nur kontrolliert und streng nach dem Gesetz müsste der Techniker sogar noch drastischere Maßnahmen anwenden. Brauch: „Der Schraubenzieher ist sogar noch die sanfte Methode. Der Gesetzgeber schreibt einen federvorgespannten Körner vor, der mit einer defi nierten Kraft auf das Blech klopft.“ Für den ÖAMTC-Techniker zudem wichtig: sich mit diesen Maßnahmen nicht lange Zeit lassen, „sonst sind die Auswirkungen frappierend. In den ersten drei bis fünf Jahren ist das Blech vielleicht nur angerostet. Wenn man aber nichts unternimmt, kann es schon bald durchkorrodiert sein und es kann kein positives Paragraph-57a-Gutachten mehr ausgestellt werden.“
Zu glauben, mit einem leichten Mangel gerade noch einmal davongekommen zu sein, wäre auch rein von der Gesetzgebung schon falsch – schließlich gelten diese Anmerkungen am Ende des Pickerlschreibens nicht als beiläufi ge Randnotiz, sondern als jene Punkte, die bis zur nächsten Überprüfung behoben gehören. Der richtige Umgang mit der braunen Gefahr geht aber schon vor dem Anstarten los. Denn die Fahrerei auf winterlichen Straßen ist noch lange nicht die einzige Gefahr für das heilige Blechle. „Wer einen Dauerparkplatz hat, sollte darauf achten, dass dieser keine feuchtigkeitshaltende Fläche hat, also zum Beispiel eine Wiese“, erläutert Brauch weiter. Tatsächlich kann Luftfeuchtigkeit aufsteigen und sich auf der Unterseite des Fahrzeugs ablagern – und in aller Ruhe zu Werke gehen. „Und bei Fahrzeugen, die einseitig geschützt parken, zum Beispiel bei einem Carport, empfehlen wir, jede Woche einmal genau andersherum zu parken.“
Generell im Freien zu parken, muss kein Nachteil sein. Denn auch die Garage als vermeintliches Allheilmittel gegen Witterung kann schwerwiegende Folgen haben. Ist diese nämlich nicht ordentlich be- und entlüftet, kann der Schnee in den Radkästen nicht schmelzen und die so entstandene feuchte Luft abziehen, es entsteht ein regelrechter Brutkasten für Rostschäden. An der frischen Luft hingegen gibt es eine permanente Zirkulation. Weil Blech aber nun einmal Blech ist, kann es dann doch einmal passieren, dass ein Bauteil das Zeitliche gesegnet hat. Doch keine Panik – oft ist der Schaden nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussieht.
Brauch: „Unbedingt mit dem Prüfer darüber sprechen, welche Teile wirklich betroff en sind, welche man tauschen oder schweißen muss und welche man mit Drahtbürste, Lack und Rostumwandler nur behandeln sollte.“ Bleibt natürlich eine alles entscheidende Frage übrig: Warum schafft man es denn nicht, ein Auto zu bauen, das einfach nicht rosten kann? „Gänzlich vermeiden wird man es leider nie können“, sagt Christian Achmus, Leiter Qualitätssicherung der Werkstoff technik von Volkswagen. Und mehr noch: Schon eine unachtsam gestaltete Sicke im Schwellerbereich, wo sich Schmutz und Wasser sammeln können, reicht aus, um der Korrosion das Leben leichter zu machen. Gerade bei den immer komplexer werdenden Karosserien genießt der Korrosionsschutz also sogar mehr Beachtung als je zuvor.
„Man muss einfach immer dahinterbleiben, dieses Thema darf man nie schleifen lassen, die Prozesse stets optimieren, und das haben auch wir in der Vergangenheit eine Zeit lang nicht immer so gehandhabt.“ Was Christian Achmus damit meint, lässt sich zum Beispiel an der Kotfl ügelunterkante des neuen VW Golf recht eindrucksvoll erläutern: Früher war diese Stelle bis an die Schwellerunterkante gezogen. In diesem Bogen konnten sich natürlich aufgewirbeltes Streugut, Laub, Salz und Feuchtigkeit sammeln.
Mittlerweile endet der Kotflügel oberhalb des Schwellers, und eine verzinkte Niete gewährleistet einen Spalt, durch den die Feuchtigkeit aus dem Hohlraum einfach wieder abrinnen kann. Doch warum erspart man sich diese ganze Aktion nicht einfach, indem man rostfreie Materialien verwendet, Herr Achmus? „Der infrage kommende Edelstahl namens V2A wäre viel zu teuer, weil in der Legierung Elemente vorkommen, die sehr selten sind.“ Vor allem aber könnte man moderne Karosseriestrukturen mit diesem Metall ganz einfach nicht umsetzen: „Edelstahl ist nicht so steif wie moderne Stähle. Die Strukturfestigkeit ist für uns in zahlreichen Bereichen sehr wichtig, zum Beispiel bei der A-Säule.
Und gerade durch den Einsatz dieser Hochfeststähle können wir schon 20 Kilogramm einsparen.“ Dass bei den Technikern Österreich als Referenzmarkt für Rostbeständigkeit gilt, zeigt nur, wie brutal die bei uns verwendeten Salz- und Streugutsorten wirklich sind. Und so wird in mehreren Durchgängen ein neues Auto analysiert und erprobt. Die Abnutzung von zwölf Jahren in nur sechs Monaten heruntergespult, mit einem Computerprogramm sogar simuliert, welche Steine in welcher Größe welche Flugbahn einschlagen und am Auto detonieren.
Es gibt Ablaufkanten in den Einstiegsbereichen, damit Feuchtigkeit sich erst gar nicht in kritischen Stellen einnisten kann, und der neueste Schrei ist der Einsatz von verschiedenen Wachssorten für den Innen- und Außenbereich. Kalt- und Heißwachs werden zum Teil aufgesprüht und Bereiche wie die Schweller damit gefl utet, was aber nur funktioniert, wenn die Karosserie vorher auf über 70 Grad vorgeheizt wurde. Wichtige Maßnahmen, denn es sieht nicht so aus, als ob man auf Salz als Eisvernichter in Zukunft verzichten könnte. Doch zumindest bei der Umweltverträglichkeit ergibt sich auf diesem Gebiet Erstaunliches.
Eine Feinkostfirma aus Bayern kam nämlich auf die Idee, das bei der Gewürzgurkenproduktion anfallende Gurkenwasser als Straßensalzersatz einzusetzen. Dieses lässt sich problemlos in Salz-Sole umwandeln, das von den Straßenmeistereien in weiterer Folge für den Winterdienst verwendet werden kann. Ein erstes Pilotprojekt soll die praktische Umsetzung klären, doch das Potenzial ist riesig. Das bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr hat vorgerechnet, dass durch die regional gefertigte Gurkensole in einem Winter 700 Tonnen Salz und 4,9 Millionen Liter Wasser eingespart werden können. Und auch bekommen, die sehr selten sind.“