Seit bald sechs Wochen verhandeln ÖVP und FPÖ, und das ziemlich professionell. Anders als vor vier Jahren zu Beginn von Faymann II oder bei Jamaika in Berlin bleibt man unter sich und richtet sich nichts - hinterrücks - über die Medien aus. Das frustriert so manchen Journalisten, zeigt aber von einer Ernsthaftigkeit, die man in den letzten Jahren vermisst hat.
Das Klima, wird beidseitig versichert, sei bestens, man verhandle auf Augenhöhe, die Verhandlungen seien von Respekt und wechselseitiger Wertschätzung geprägt. Das sind keine hohlen Phrasen, sondern entspricht dem strategischen Kalkül der ÖVP, die von der ersten Minute an alles getan hat, um die Freiheitlichen als gleichwertige Partner zu behandeln - damit Letztere erst gar nicht auf die Idee kommen, es vielleicht doch mit der SPÖ zu versuchen.
Um die zunehmend ungeduldig werdende Öffentlichkeit bei Laune zu halten, hat man begonnen, Zwischen- und Teilergebnisse zu präsentieren. DIe Bilanz fällt - bisher - gemischt aus. Dass eine Koalition, die rechts der Mitte verankert ist, die Mindestsicherung für Migranten drosseln will, den Fokus auf mehr Polizei setzt, am Gymnasium festhält, das Staatsbürgerschaftsgesetz verschärft, mag manche empören, liegt aber in der ideologischen Verortung der Koalitionspartner.
In nicht wenigen Punkten, die groß verkündet worden sind, setzt Türkis-Blau nahtlos an Kern l an - siehe zweites verpflichtendes Kindergartenjahr, digitale Betriebsstätte, Breitband-Offensive, autonomes Fahren. Noch-Kanzler Kern, der die Verhandlungen erste Reihe fußfrei verfolgt, hat in der Anfangsphase noch jede Copy-Paste-Maßnahme der künftigen Regierung spöttisch auf Twitter kommentiert.
Da stellt sich unweigerlich die Frage: Warum musste überhaupt gewählt werden? Jene, die Österreich nach rechts abdriften sehen, dürfen hingegen aufatmen: Offenbar sind die von Burschenschaftern dominierten Freiheitlichen doch nicht am totalen Systembruch interessiert. Dass die FPÖ in zahllosen Politikbereichen, etwa beim Budget, die EU-Vergaben für sakrosankt erklärt, den Klimaschutz nicht mehr infrage stellt, in der Europapolitik einlenkt, hat das Zeug zur kopernikanischen Wende.
Ob das auch für das gesamte türkis-blaue Projekt gilt? Das wird sich erst zeigen, wenn alles vorliegt. In ÖVP-Kreisen warnt man bereits vor falschen Erwartungen, vor überzogenen Hoffnungen. Man müsse Sebastian Kurz an seinen Wahlversprechen messen. Rente ab 67? Das hätten die Neos versprochen, nicht Kurz. Abschaffung des Kammerzwangs? Eine Forderung der FPÖ, nicht von Sebastian Kurz.
Womöglich wird Kurz zum Opfer überzogener Erwartungen, die er durch den Bruch mit der alten ÖVP und der bisherigen Politik selbst genährt hat. Die türkis-blauen Leuchtturmprojekte wurden noch nicht enthüllt. Gibt es sie überhaupt? Man vernimmt aber bereits, dass die knappen Finanzmittel und die engen budgetären Spielräume etwa keine gewaltige Steuerreform, die 2018 auf einen Schlag realisiert wird, zulassen würden, noch dazu soll gleichzeitig die Abgabenquote bis 2022 auf unter 40 Prozent gesenkt werden.
Ob auch tiefgreifende strukturellen Reformen angedacht werden, wie sie etwa der Rechnungshof unter Josef Moser in den letzten zwölf Jahren in jedem einzelnen Bericht angestoßen hat, ist völlig offen. Die Zusammenlegung der Kassen ist ein überfälliger Schritt, löst aber nicht den Kompetenzdschungel in der Gesundheitsfinanzierung.
Das Koalitionsabkommen wird daran gemessen werden, ob der Aufbruch zu Neuem gelingt oder ob man sich mit Symbolpolitik, vollmundigen Absichtserklärungen und gut klingenden Überschriften begnügt.