Die AUA-Crew hat längst Aufstellung genommen, als Alexander Van der Bellen die Gangway betritt. Ein freundliches Hallo, kurzer Händedruck, und schon entschwindet er auf Platz 1K. Die Passagiere, die sich in ihren Sitzen eingerichtet haben, nehmen kaum von ihm Notiz. An Bord sind nur wenige Österreicher, Transatlantikflüge sind zumeist ein Abbild der globalisierten Weltgemeinschaft. Heinz Fischer, sein Vorgänger, hätte wohl die ersten fünf Reihen mit Handschlag begrüßt und vor Abflug bereits für Selfies posiert.

Nach der Landung am New Yorker JFK-Flughafen geht es durch ein Labyrinth aus Stiegen und Gängen direkt zum wartenden Konvoi, Van der Bellen und seiner Entourage bleiben die lästigen Schlangen vor der US-Immigration erspart. Die gewonnenen Minuten werden nicht in den prompten Aufbruch, sondern in eine längere Rauchpause investiert. Ohne Blaulicht fädelte sich der Konvoi in den zähflüssigen Nachmittagsverkehr ein. Zeit spielt keine Rolle, der sonntägliche Terminkalender im Vorfeld der heutigen UN-Generalversammlung wurde freigeschaufelt.

Abendessen im Freud, einem österreichischen Szenelokal im Greenwich Village: Van der Bellen scheut den großen Auftritt. Er ist kein schulterklopfender Präsident, der auf wildfremde Leute zugeht und diese in Smalltalks verwickelt. Sucht er das Gespräch, bleibt er äußerst fokussiert. Man hat nicht den Eindruck, dass er mit dem Gedanken bereits beim nächsten Termin ist und bloß höflichkeitshalber zuhört - eine Unsitte vieler Politiker.

Vor dem Sommer tauchte in Sozialen Medien und anderswo bereits erste leise Kritik an Van der Bellen auf. Wo ist er eigentlich? Was macht er überhaupt? Einige Stimmen meinen: „Hätte doch Frau Griss gewonnen, sie wäre schwungvoller aufgetreten und präsenter gewesen.“ Auch ist zu hören, Altpräsident Heinz Fischer sei aktiver als der neue Bundespräsident. Und diese Kritik entstammt nicht aus Nobert-Hofer-Lager.

Hört man sich in der Hofburg um, kristallisiert sich ein klares Bild heraus: Fischer war ein Wirbelwind, der rund um die Uhr auf Achse war und so manchen Mitarbeiter an den Rand der Erschöpfung trieb. Van der Bellen hielt in seinen ersten 200 Tagen rund 60 Reden, darunter die denkwürdige Europarede in Straßburg, dennoch legt er es anders, ruhiger an. „Sie sind einfach sehr unterschiedliche Charaktere“, meint ein Insider.

Van der Bellen muss erst seine neue Rolle finden. Der tägliche Unterzeichnungsmarathon unzähliger Ernennungs- und anderen Dekreten erfordert Sitzfleisch. Auf Schritt und Tritt von Leibwächtern verfolgt zu werden, auch im Urlaub und beim Wandern, ist gewöhnungsbedürftig. Privatsphäre im Zeitalter des Handy, das war einmal: Als sich Van der Bellen im Vorfeld seiner Leistenoperation im Spital untersuchen ließ, trudelten bereits nach einer Viertelstunde erste Fotos des in der Ambulanz wartenden Präsidenten in Zeitungsredaktionen ein.

Vielleicht bringt Van der Bellen als entschleunigter Präsident mehr Realitätssinn in das Amt ein. Die Macht des Bundespräsidenten ist sehr beschränkt. Fischer schaffte es während seiner Amtszeit nicht, die zerrütteten Koalitionspartner auf Linie zu bekommen. Seine Appelle verhallten ungehört. Wohl auch um der Kritik zu begegnen, man höre wenig von ihn, richtet Van der Bellen vor kurzem eine Mahnung  an die wahlkämpfenden Parteien, trotz harten Bandagen das Gemeinsame nicht außer acht zu lassen.

Seine große Stunde kommt allerdings erst - nach der geschlagenen Wahl bei der Regierungsbildung. Gestern stieß Außenminister Sebastian Kurz in New York dazu. Über den möglichen Wahlausgang ist Van der Bellen verständlicherweise wenig zu entlocken. Dass er die Abspaltung von Peter Pilz nicht gutheißt, ist seiner Mimik zu entnehmen. Gerüchte, er würde in New York für die Zeit danach bei Kurz vorsondieren, entlocken ihm einen müden Lacher. Solange die neue Machtbalance im Nationalrat nicht feststeht, sei alles Spekulation. Eines schimmert durch: Die Macht bei der Regierungsbildung ist begrenzt, schon Thomas Klestil musste klein beigeben.

Für Innenpolitik bleibt in New York kaum Zeit: Bereits gestern starteten Van der Bellen und Kurz ihren mehrtägigen Gesprächsmarathon im Umfeld der UNO. Im globale Kontext geht es - siehe Nordkorea - um Krieg um Frieden.