Einige ÖVP-Strategen raufen sich die Haare. In vier Wochen wird gewählt, und Sebastian Kurz entschwindet am Montag vormittags für vier Tage nach New York. Während die anderen Spitzenkandidaten in Bussen durch die Bundesländer und Bezirke tingeln sowie TV- und andere Duelle bestreiten, zieht der Außenminister das diplomatische Parkett vor. Am Sonntag tourt der ÖVP-Spitzenkandidat noch schnell durch die Steiermark, unterstützt Reinhold Lopatka bei einem Auftritt in der Oststeiermark und schaut beim Aufsteirern in Graz vorbei - so wie auch Heinz-Christian Strache, Peter Pilz, Ulrike Lunacek und Irmgard Griss, die Listenzweite hinter Matthias Strolz. Montagfrüh geht es über den Großen Teich.
In der Umgebung des Außenministers wird versichert, zu keinem Zeitpunkt habe Kurz erwogen, der alljährlichen UN-Generalversammlung fernzubleiben. Die Herbstversammlung ist für jeden der weltweit 193 Außenminister ein Pflichttermin. Noch dazu ist Kurz derzeit Vorsitzender der OSZE. Nach New York reist erstmals auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen, im letzten Jahr weilte mangels Staatsoberhaupt Bundeskanzler Christian Kern bei der UNO-Versammlung. Zur Erinnerung: Damals befanden sich Kern und Kurz bereits im Vorwahlkampf, in New York gingen sich die beiden Herren so oft wie möglich aus dem Weg.
Die 96 Stunden in New York sind wahlkampftechnisch keine leeren Kilometer. Kurz entsteigt nicht nur den innenpolitischen Niederungen und schlüpft in die Rolle des Staatsmanns, der dichte Gesprächs- und Terminreigen beschert dem ÖVP-Spitzenkandidaten auch das eine oder andere Foto - mit UN-Generalsekretär António Guterres, den iranischen Präsidenten Hassan Rohani, drei bis vier Dutzend Außenministern, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die britische Premierministerin Theresa May, die zu einem Anti-Terror-Gipfel mit Internetgiganten wie Google und Facebook laden, bis hin zum Grandseigneur der Diplomatie, Ex-US-Außenminister Henry Kissinger.
In New York erstmals dabei ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dem eine Einladung zu einem Empfang von US-Präsident Donald Trump in die Hofburg geflattert ist. Neben Dutzenden bilateralen Terminen beschert New York Van der Bellen vielleicht auch die Möglichkeit, in einer ruhigen Minuten mit Kurz ein paar Worte über eine dessen Überlegungen in Sachen Regierungsbildung nach dem 15. Oktober zu wechseln. Wird Österreich 2018 etwa durch einen Außenminister Norbert Hofer bei der UN-Generalversammlung vertreten werden?
Angela Merkel, die in einer Woche wählt, glänzt bei der UNO durch Abwesenheit, Deutschland ist lediglich durch Außenminister Sigmar Gabriel vertreten. Das hat Tradition, die Kanzlerin reist nie zum traditionellen Herbst-Termin der UNO nach New York. Freilich: Eine solche Absenz kann sich großes, bedeutendes Land eher leisten, Österreich jedoch nicht.