Mit dem Fahrrad auf Ikea-Tour
Billy hatte keine Chance. Bevor er auch nur irgendetwas mitbekommen hat, lag Rosali bereits in meinen Armen und wir düsten schnurstracks Richtung Garten. Dank Sladdas Hilfe. Sie führte uns sicher durch das Labyrinth aus langen Gängen und engen Kurven, vorbei an riesigen Ohrensesseln und kugelrunden Köttbullars, die alle versuchten, mich in ihren Bann zu ziehen. Doch tapfer schlugen wir uns bis zum großen Torwächter durch, der sich uns am gelben Schranken in den Weg stellte und etwas Bedrohliches aus dem Halfter zog. Er wird doch nicht etwa … „Hallo! Den Barcode, bitte.“
Zum Glück ist Billy nur ein Holzkopf. Genauer gesagt ein Regal. Rosali eine herzige Blümchenbettwäsche, der Garten die Pflanzenabteilung und der Torwächter der Kassier am Ende jenes Wunderlands, das jeder von uns kennt: Ikea. Aber wer bitte schön ist Sladda? Nüchtern betrachtet ein Fahrrad. Da es aber vom schwedischen Einrichtungshaus stammt, war klar, dass der Zugang zum Thema ein wenig anders sein darf. Ähnlich wie dessen Schränke und Regale kann auch Sladda modulartig konfiguriert werden. Zum Basis-Drahtesel in unterschiedlichen Rahmengrößen gibt es Gepäckträger vorne wie hinten, Hängetaschen und sogar einen Anhänger im gleichen Design. Alles farblich aufeinander abgestimmt und kinderleicht zusammenzubauen. Und irgendwie schreit dieses Gespann danach, in würdigem Rahmen ausprobiert zu werden.
Wer schon einmal den Wunsch verspürte, eine Nacht in einer Ikea-Filiale zu verbringen, wird mir jetzt sicher beipflichten: Genau dort ist der perfekte Ort für eine Jungfernfahrt. Und möchte man meinen lieben Kollegen glauben, auch deswegen, weil ich mich dort sicher nicht verfahren kann. Frechheit, dabei hat mich meine Orientierung noch nie im Stich gelassen. Glaube ich. Also: Helm auf und rauf auf den Sattel. Was gleich auf den ersten Metern zwischen den Sofas auffällt: Wir bewegen uns nahezu lautlos fort, denn die Pedale treiben keine Kette an, sondern einen Zahnriemen. Das typische Rasseln gibt es hier nicht, dafür einen Mix aus traditioneller und hochmoderner Technik. Rücktritt hinten tri.t auf Scheibenbremsen vorne. Dazu kommen LED-Beleuchtung und ein Zwei-Gang-Automatikgetriebe, das bei höheren Geschwindigkeiten von selbst die Fahrstufen wechselt. Volle Konzentration also auf die Sonderangebote!
Wir nähern uns den Küchen. Grazil lässt sich Sladda an den Anrichten und Sesseln vorbeizirkeln, an die Breite des Anhängers gewöhnt man sich sofort. Und wo man schon den Luxus hat, nichts mehr tragen zu müssen: Eigentlich bräuchte ich ja eh neue Teller und ein paar Kochtöpfe. Zügig arbeiten wir uns durch die einzelnen Abteilungen. Wir gustieren im Bürobereich, erwischen auch die Haarnadelkurve in der schier endlosen Pax-Schrankbauwelt mit Bravour. Sladda lässt sich angenehm simpel bewegen. Kein Wunder – der Rahmen besteht aus leichtem Aluminium, Sattel und Lenker sind vielfach verstellbar, damit man bequem sitzt und alles locker im Griff hat.
Vor allem die Klingel steht stellvertretend für die durchdachte Bauweise: Platzsparend kauert sie sich bescheiden neben den linken Griff. Doch hübsch anzusehen ist sie dort, und ihre Stimme klingt dafür umso kräftiger. Aber oft brauchen wir sie heute nicht, denn meistens bewegen wir uns nur im Schritttempo vorwärts, weil wir uns alles genau ansehen. Manchmal ist es aber schlau er, an bestimmten Stationen rascher vorbeizuradeln. An den perfekt eingerichteten Musterwohnungen zum Beispiel. Da wird man ja neidisch, wie effektiv man hier den Wohnraum mit cleveren Verstaulösungen nutzt!
Wir nähern uns der Bettenabteilung. Dank Sladda tun mir hier, nach einem guten Teil des Einrichtungshaus-Parcours, endlich einmal nicht die Füße weh. Ein wenig in einer der Matratzen zu reinen Testzwecken Probe zu liegen, kommt mir zum ersten Mal nicht in den Sinn. Und endlich habe ich sie gefunden: Rosali! Schnell in den Anhänger mit ihr. Ich wusste es, irgendwann würden sich unsere Wege kreuzen. Von wegen, ich habe keine Orientierung.
Langsam lernen Sladda und ich uns besser kennen, und ich fange an, einen Vorzug – so hoch zu Drahtesel – immer mehr zu genießen: den herrlichen Überblick über das gesamte Sortiment. Vor allem ein Ohrensessel hat es mir besonders angetan. Strandmon ist eigentlich ein Relikt aus den Gründerjahren. Er war aber über Jahrzehnte das bevorzugte Sitzmöbel von Ikea-Gründer Ingvar Kamprad höchstpersönlich, daher kam dieses Stück vor wenigen Jahren wieder ins Sortiment. Und tatsächlich: Als ich es mir darauf bequem mache, verstehe ich Herrn Kamprad voll und ganz.
Es wird langsam Mittag. Die gelbe Ikea-Tragetasche ist gut gefüllt, im Gegensatz zu meinem Magen. Und gerade heute spricht doch wirklich nichts gegen einen schönen Teller Köttbullar. Wer so viel Bewegung macht, muss sich ja vernünftig stärken. Und eine ausgedehnte Shopping-Radtour ist ja anstrengend. Wie gut, dass unsere Sladda über den vorderen Korb verfügt – mit Besteck, Serviette und den legendären Fleischbällchen bestückt, funktioniert er wie ein schicker Picknick-Tisch.
Eine kleine Ehrenrunde um die Insel mit den Getränkeautomaten und weiter geht’s in die Markthalle. Siegessicher folge ich den Pfeilen auf dem Boden – und bevor jemand fragt: Bis auf einen falschen Abzweiger bei den Teddybären bin ich nie vom rechten Weg abgekommen. Und abgesehen davon verlieren die zahlreichen Abkürzungen ihren Reiz, so mühelos lässt sich Sladda trotz Anhänger an den Beratungsinseln und Musterschränken vorbeimanövrieren. Ui, im Lampensortiment gibt es ein neues Modell. Kein Problem – die Anhängerkupplung ist zwar mittels Splint und Sicherungshaken einfach zu handhaben, dennoch robust genug für 45 kg Zuladung.
Roland Scharf