Ja, die Geschichten, in denen Islands Teamstürmer hauptberuflich Dachdecker und der Verteidiger eigentlich Mathematiklehrer war, sind Wuchteln von gestern. Das weiß spätestens seit dem 1:1, das die Wikinger Gruppenfavorit Portugal zum EM-Auftakt abgetrotzt und womit sie den ersten Punkt bei einem fußballerischen Großereignis erobert haben, auch Cristiano Ronaldo.
Doch soll dieses Bravourstück nur die erste Etappe einer märchenhaften Reise gewesen sein. Auch, wenn die Insulaner in den jüngsten fünf Duellen gegen Ungarn stets eine auf den Deckel bekommen haben, soll heute (18 Uhr) in Marseille gegen den Österreich-Bezwinger ein Sieg und das damit möglicherweise bereits verbundene Achtelfinalticket her. Gelingt der Coup, würde sich der gestern begangene isländische Nationalfeiertag – am 17. Juni 1944 wurde auf dem Eiland die Republik ausgerufen – verlängern.
Der Kleine, der Andere
Die Art und Weise, mit der der Zwergenstaat im Kräftemessen mit den Portugiesen Fußball-Europa in seinen Bann gezogen hat, brachte den Kicker-Rebellen aus dem eisigen Norden viele Sympathien ein. Eh klar: Der Kleine, der etwas Andere, der Außenseiter – das zieht bei den Fans und öffnet die von Mitleid angehauchten Herzen. Wie auch die Tatsache, dass im Spiel gegen Portugal hochgerechnet rund ein Achtel der isländischen Bevölkerung (laut letzter Zählung im Jahr 2013 weilen auf diesem Planeten 332.750 von ihnen) auf den steilen Rängen des Ovals von St-Etienne die Vertreter ihrer Heimat auf dem Rasen lautstark anfeuerte.
Ja, Island (oder Eisland) steht nicht nur für den nordwestlichen Außenposten Europas, sondern bietet auch in sportlichen Belangen Außergewöhnliches. Oder haben Sie gewusst, dass der Nationalsport Glima (ein Art Ringen) ist, die Insel gemessen an ihrer Einwohnerzahl die weltweit meisten Schach-Großmeister hält, im Handball bei den Herren auf die Olympia-Zweiten von 2008 verweisen kann und aufgrund weiterer sportlicher Erfolge den ewigen Medaillenspiegel der tatsächlich existierenden "Spiele der kleinen Staaten von Europa" anführt?
Eine neue Ebene
Doch Glima hin, Handball her – momentan rollt auf der Insel nur ein Thema: der Fußball. Und da sollen die "Sons" den Nationalstolz der Isländer nun auf eine neue Ebene hieven. Die „Sons“? Arnason, Skulason oder Bjarnason, der den Ausgleich zum 1:1 gegen Portugal besorgte – alle Namen der elf "eisländischen" Feldspieler im Spiel gegen Ronaldo & Co. endeten auf "-son". Das ist sogar eine Bestmarke. Denn laut Statistikern schafften es die bisherigen Rekordhalter, nämlich die Dänen, 1964 im Spiel gegen die damalige UdSSR, "nur" zehn Spieler mit derselben Endung im Nachnamen ("-sen") auf das Spielfeld zu schicken. Insgesamt stehen gleich 22 „Sons“ im 23-Mann-Kader des Schweden Lars Lagerbäck. Nur einer tanzt aus der Reihe, nämlich Eidur Gudjohnsen. Allerdings kam der einstige Chelsea-Legionär bis dato bei der EM noch nicht zum Einsatz.
Ach ja, "son" bedeutet übrigens „Sohn und bildet in Verbindung mit dem Vornamen des Vaters den Nachnamen des Sohnes. David Alabas Vater heißt George. Somit würde der Bayern-Star in Island David Georgeson heißen. Alles klar?