Ein Kinderlied in spanischer Sprache ist es, das die deutsche Schwimmerin Maria an eine ihr unbekannte Kindheit erinnert - und sie auf die Suche nach ihrer Herkunft und Identität schickt. Mit einer darstellerisch starken Jessica Schwarz und atmosphärisch beeindruckenden 35-mm-Cinemascope-Bildern heimste Florian Cossen mit seinem Debütfilm "Das Lied in mir" bereits zahlreiche internationale Nachwuchspreise ein.

Maria (Schwarz) ist eigentlich auf der Durchreise nach Chile, als sie beim Zwischenstopp in Buenos Aires durch den Gesang einer Argentinierin, die ihr Baby in den Schlaf singt, zusammenbricht. Das Kinderlied weckt Erinnerungen in ihr, die sie nicht zuordnen kann. Sie verpasst ihren Anschlussflug und irrt ziellos durch das fremde und doch vertraut wirkende Buenos Aires, ehe ihr Vater Anton (Michael Gwisdek) ob der Nachricht eilends nachfliegt. Er offenbart Maria, dass er und seine vor 15 Jahren verstorbene Frau sie als Dreijährige 1980 aus Argentinien mitnahmen, nachdem ihre Eltern während der Militärdiktatur plötzlich verschwanden.

Von der Wahrheit überrumpelt

Von der jahrzehntelangen verborgenen Wahrheit überrumpelt, distanziert sich die 31-Jährige zunehmend von ihrem Vater und macht sich auf die Suche nach ihrer wahren Identität. Als sie im Telefonbuch ihren Onkel Jorge und darauf auch ihre Patentante Estela (Beatriz Spelzini), die sie einst verzweifelt gesucht hatte, findet, scheint die Frage ihrer Herkunft geklärt. Doch die emotionale Reaktion der wiedergefundenen Familie auf den Namen von Marias Adoptivvater lässt sie zweifeln, ob dieser ihr tatsächlich die ganze Wahrheit erzählt hat.

Das vom Vertrauensbruch zerrüttete Verhältnis zwischen Maria und ihrem Vater steht im Mittelpunkt dieses in beeindruckenden Bildern festgehaltenen und mit atmosphärischer Musik untermalten Abschlussprojekts Cossens an der Filmakademie Baden-Württemberg. Cossen wuchs in Israel, Kanada, Spanien, Costa Rica und Deutschland auf; als Gaststudent verbrachte er sechs Monate an der Universidad del Cine in Buenos Aires. Bei der Weltpremiere beim Montreal World Film Festival wurde "Das Lied in mir" mit dem FIPRESCI-Preis der internationalen Filmkritiker- und Filmjournalisten-Vereinigung und dem Publikumspreis ausgezeichnet, ehe es beim Filmfestival Zürich als bester Film der deutschsprachigen Reihe geehrt und bei den Internationalen Hofer Filmtagen mit dem Kodak Eastman Förderpreis bedacht wurde.

Der tragische Hintergrund - das Verschwinden von 30.000 Menschen zur Zeit der Militärdiktatur in Argentinien - streift Cossen nur, das Verdrängen dieser Zeit illustriert er mit Hilfe des Polizisten Alejandro (Alejandro Rafael Ferro), Marias Liebhaber. Dieser will seinen Beruf vor ihrer argentinischen Familie verschweigen, hat er doch selbst seinen Vater, ein nach der Militärdiktatur in Frühpension geschickter Polizist, nie nach dessen damaliger Position gefragt. "Ich will nicht, dass er mir etwas erzählt, für das ich ihn vielleicht hassen würde", sagt er Maria. Sie indes wagt es, ihrem Vater diese Fragen ob ihres Wunsches nach Zugehörigkeit und Wahrheit zu stellen, auch wenn ihre Beziehung darunter leidet.

Schwarz brilliert in ihrer zurückgenommenen, eindrücklichen Darstellung - allein ihr Blick auf die auf den Straßen Buenos Aires spielenden Kindern, ihr bedächtiges Wanken durch die fremde Megacity, das erste Lachen im Kreise der so lange verdrängten Familie vermitteln dem Zuseher alles, was er wissen muss. Auch Marias Emotionen gegenüber Anton, die vom Entsetzen ob des jahrzehntelangen Betrugs zur Inschutznahme gegenüber der leiblichen Familie umschwenken, wirken durch Schwarz' Spiel stimmig. Ein sehenswertes Psychodrama mit einer außergewöhnlichen Hauptdarstellerin.