Seit 20 Jahren forscht und lehrt Verena Krausneker an der Universität Wien. Erst seit einem halben Jahr hat sie für Lehre auch eine unbefristete Halbtagsstelle. Forschen kann die Gebärdensprachenexpertin an Österreichs größter Universität aber nicht mehr. Da sie mehr als acht Jahre lang über befristet angestellt war, darf ihr die Universität keinen neuen befristeten Vertrag ausstellen – obwohl sie ihr Gehalt selbst über eine EU-Förderung finanziert hätte.

"Für mich sind die Möglichkeiten an der Uni Wien zu Ende", sagt Krausneker. Sie habe das Geld genommen und sei mit dem Projekt an eine andere außeruniversitäre Einrichtung gegangen: "Nun sind mein Assistent und ich dort angestellt". Krausneker ist bei Weitem nicht die Einzige: "Hier wandern Leute mit Millionenprojekten ab", sagt sie. Viele in Österreich ausgebildete Expertinnen und Experten zieht es direkt ins Ausland. Denn seit Oktober 2021 verbietet Paragraf 109 des Universitätsgesetzes, dass öffentliche Universitäten ihre Mitarbeiter länger als acht Jahre lang befristet beschäftigen.

Der Unterbau der Universität Wien ruft zur Demonstration auf
Der Unterbau der Universität Wien ruft zur Demonstration auf © © Georg Aufreiter

Arbeit mit Ablaufdatum

Was auf den ersten Blick wie eine Abkehr von in der Privatwirtschaft verbotenen Kettenverträgen klingt, hat für den Wissenschaftsstandort schwere Folgen. Denn der Großteil der Beschäftigten an Österreichs Unis wird nach Ablauf der acht Jahre nicht angestellt, sondern auf die Straße gesetzt. Eine Auswertung der Politikwissenschaftlerin Julia Partheymüller zeigt, dass die Universität Wien seit Inkrafttreten des Gesetzes kaum jemandem einen unbefristeten Vertrag angeboten hat: Beispiele dafür seien "so selten, das ist nicht mehr im messbaren Bereich", sagt sie.

Der Unterbau der Universität – also all jene, die den universitären Betrieb aufrechterhalten, aber nur befristet angestellt sind – will das ändern. Am Mittwoch haben sie vor dem Hauptgebäude der Universität Suppe ausgeschenkt, um Kolleginnen und Kollegen auf das Problem aufmerksam zu machen. Denn Partheymüllers Befragung zeigt auch: "Es gibt zwei Zustände: Entweder sie wissen nichts über das Thema oder sie sind wütend". Fast jeder zehnte befragte Uni-Wien Mitarbeiter wisse gar nichts über die Arbeit mit Ablaufdatum, fast jeder Zweite sei nur wenig informiert.

"Supergau im Mittelbau"

Rund 1500 Jungwissenschafter, Mittelbau-Angestellte und Studierende sind daher am Donnerstag in Wien für eine Abschaffung der Kettenverträge an den Universitäten auf die Straße gegangen. "Supergau im Mittelbau - genau auf das bewegen wir uns hin", warnte der Vorsitzende des Betriebsrats der Uni Wien, Karl Reiter, in seiner Rede.

Es gebe an der Uni Wien mittlerweile an die 100 Wissenschafter, die ihre bewilligten Forschungsprojekte nicht mehr durchführen könnten, weil sie wegen der Auslegung der Kettenvertragsregelung die Uni verlassen mussten. Der Paragraph 109 müsse entweder abgeändert werden, oder es brauche Sanktionen für Unis, die diesen nicht im ursprünglichen Sinne umsetzen - nämlich mehr Wissenschafter unbefristet anzustellen.

Österreichweit schlechte Bedingungen

Krausneker (link) organisiert sich im Unterbau der Uni Wien
Krausneker (link) organisiert sich im Unterbau der Uni Wien © © Georg Aufreiter

Ein rein Wiener Problem ist die Kettenregelung bei Weitem nicht: "Das Gesetz gilt für alle öffentlichen Universitäten in diesem Land", erklärt Krausneker. Die Universität Wien sei mit rund 6500 Arbeitnehmern mit Ablaufdatum zwar ein Extrembeispiel, doch auch in Linz, Graz oder Klagenfurt sei die Situation nicht viel besser, sagt die Politikwissenschaftlerin Partheymüller. Erste Ergebnisse einer österreichweiten Umfrage zeigen: "Entfristungsperspektiven sind überall mies – und an der Uni Wien sind sie noch einmal schlechter".

Wissenschaftsminister Martin Polaschek (ÖVP) argumentiert, dass der Paragraf 109 den Universitätsmitarbeitern sogar mehr Rechtssicherheit bieten solle. Eingeführt wurde die Höchstbegrenzung, damit die Kettenvertragsregelung an den Universitäten dem EU-Recht entspricht. Von Kettenverträgen abgehen will der Wissenschaftsminister nicht: "Forschung ist nicht planbar", heißt es aus seinem Ressort. Es brauche daher "ein gewisses Maß an Flexibilität" für die Universitäten.

Möglichkeiten und Machbarkeit

Aus Sicht des Wissenschaftsministeriums gibt es insgesamt einen "rechtlich tauglichen Rahmen". Dieser werde "aktuell aber nicht an jeder Universität in vollem Umfang ausgeschöpft", heißt es aus dem Ministerium etwa mit Verweis auf sogenannte "Tenure Tracks", die den Weg zu einer vereinfachten assoziierten Professur ebnen sollen. Da bis zu vier Jahren "prae-doc" nicht in die achtjährige Obergrenze zählt, könne man sogar bis zu zwölf Jahre lang befristet angestellt werden.

Würde man sämtliche Stellen unbefristet vergeben, "gäbe es auf viele Jahre hinaus nur äußerst geringe Chancen, in der Wissenschaft Fuß zu fassen", argumentiert Polascheks Ressort außerdem: "Das kann in niemandes Interesse liegen". Die Bildungswissenschaftlerin Krausneker kann das nicht nachvollziehen: "Die Uni Wien braucht uns. Hier studieren 90.000 Studenten, irgendjemand unterrichtet die – und das sind wir".