Krieg, Teuerung und Energiekrise beschäftigen auch heute wieder den Nationalrat: Auf Verlangen der türkis-grünen Koalition kommen die Abgeordneten seit 15 Uhr zusammen, damit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) Erklärungen in Sachen Krieg und Energiekrise abgeben können. Die anschließende Diskussion ist hitzig. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) kann ihr nicht lauschen, da er in Ungarn bei einem Migrationsgipfel weilt.

Kogler: Russland setzt Lebensmittel und Energie als Waffe ein

Man erlebe einen "bestialischen Massenangriffskrieg, es werden Frauen vergewaltigt, Kinder verschleppt", sagt Vizekanzler Kogler – da könne man nicht neutral sein: "Wer hier zuschaut und nichts tut, macht sich mitschuldig bei Massenmord, Vergewaltigung und Kinderverschleppung." Es werde da oder dort Wohlstandsverluste geben, man dürfe aber nicht Ursache und Wirkung verwechseln: Russland würde "Lebensmittel und Energie ganz bewusst als Waffe" einsetzen – daher habe man es mit einem hybriden und globalisierten Konflikt zu tun.

Der russische Präsident Wladimir Putin "darf den Krieg nicht gewinnen, weil dann geht es weiter", warnt Kogler – etwa am Baltikum und damit direkt an der Nato-Grenze. Daher sei es wichtig, dass sich die Ukraine verteidigen könne. Dass sich Russland durch den Krieg auch gegen die Freiheits- und Friedensordnung stelle, sei nicht überraschend, hätten dies der russische Präsident Wladimir Putin "und seine Bande" doch bereits in der jüngeren Geschichte vorgezeichnet, so Kogler. Es sei zwar richtig gewesen, dass sich Österreich als neutrales Land um gute Beziehungen mit Russland bemüht hatte, spätestens die Annexion der Krim hätte man allerdings als Zeitenwende erkennen müssen, findet der Vizekanzler.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) erinnerten an die Maßnahmen der Regierung
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) erinnerten an die Maßnahmen der Regierung © APA/ROLAND SCHLAGER

Untätigkeit könne man dieser Regierung nicht vorwerfen, findet Verfassungsministerin Edtstadler. Noch vor dem russischen Angriffskrieg habe man für Entlastung gesorgt, die gesetzten Maßnahmen seitdem zählt die Ministerin einzeln auf, um zu zeigen, dass die Regierung niemanden in Stich lasse. Obwohl man noch "vor der Zeitenwende" als ÖVP gegen Markteingriffe war, sei man nun auch dafür.

Türkis-roter Schlagabtausch

Wenn sich Menschen und Betriebe Heizkosten nicht mehr leisten könnten, drohe die auch zu einer sozialen Krise zu werden, warnt hingegen SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Die Regierung solle sich hier ein Beispiel an Deutschland nehmen, findet sie: Es müsse jetzt regulierend eingegriffen werden, "damit Strom und Gas wieder leistbar sind" und Arbeitsplätze gesichert seien, sagt die SPÖ-Chefin.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner © APA/ROLAND SCHLAGER

Der ÖVP-Abgeordnete Reinhold Lopatka fordert Rendi-Wagner hingegen auf, bei den Fakten zu bleiben: Pro Kopf habe Österreich mehr Geld ausgezahlt als Deutschland. Außerdem solle die SPÖ-Chefin lieber bei ihren Wiener Parteikollegen dafür sorgen, dass die Abgaben in der Hauptstadt nicht weiter steigen. Von der FPÖ will Lopatka wissen, ob die Freiheitlichen auch die kürzlich durch Russland abgehaltenen "Scheinreferenten" in besetzten Gebieten anerkennen wollen – so wie es blaue Abgeordnete etwa bei der Krim gefordert hatten.

Nehammer lässt sich vertreten

Die FPÖ sei nicht auf der Seite der Russen, "sondern auf der der österreichischen Bevölkerung", hält die freiheitliche Abgeordnete Petra Steger entgegen. Dass Kanzler Nehammer heute nicht im Plenum ist, zeige, dass die Regierung das Parlament nicht ernst nehme.

Der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried spekuliert hingegen, dass Nehammer selbst keine Regierungserklärung abgeben wollte: "Vielleicht hat er keine Erklärung für all die Probleme in diesem Land." Vielleicht sei aber auch die ganze Sondersitzung nur vorgeschoben, da die Regierung heute ein Gesetz beschließen müsse, vermutet Leichtfried.

FPÖ-Abgeordnete Petra Steger
FPÖ-Abgeordnete Petra Steger © APA/ROLAND SCHLAGER

Tatsächlich weilt Nehammer bei einer Migrationskonferenz in Ungarn und lässt sich daher von Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm im Nationalrat vertreten. Für FPÖ-Chef Herbert Kickl wird sie damit zu Nehammers "höchstpersönlichem Fluchthelfer aus der Verantwortung gegenüber dem Parlament". Die Freiheitlichen hoffen allerdings, dass sich Nehammer vom ungarischen Premierminister Viktor Orbán "eine Scheibe abschneidet" – und bringen einmal mehr einen Antrag auf Durchführung einer Volksbefragung über die Russland-Sanktionen ein.

Wo die FPÖ steht

Nachdem es bei Lopatkas Rede Zwischenrufe vonseiten der FPÖ gegeben hatte, dass sie dessen Werte nicht teilen würden, erinnerte Grünen-Obfrau die freiheitliche Fraktion daran, dass alle Abgeordneten ein Gelöbnis auf Demokratie und die damit verbundenen Werte abgeben mussten: "Wenn Sie diese Werte nicht hochhalten wollen, dann packen Sie bitte die Taschen und verlassen Sie das Parlament", fordert sie die blauen Abgeordneten auf.

Man sei solidarisch mit der Ukraine, "ein Wort wie Solidarität als Unwort des Jahres zu präsentieren" – wie es die blaue Abgeordnete Steger tat – "auch das ist letztklassig", sagt Maurer. Jeden Tag sehe man, dass sich die FPÖ "lieber aufseiten des Kriegsverbrechers Putin stellt", indem sie "nichts zur Lösung der Krisen beiträgt, sondern im Gegenteil die russische Propaganda weitertreibt und damit auch aktiv die Spaltung betreibt".

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger kritisiert, dass das Thema Neutralität heute von der Regierung nicht angesprochen wurde. Bei geopolitischer Sicherheitspolitik gelte: If you are not sitting on the table, you are on the menu – wer nicht am Tisch sitzt, steht auf der Speisekarte. Daher plädiert die Neos-Chefin für eine Anpassung der Neutralitätspolitik. Außerdem fordert sie eine weitere Diversifizierung der Gasversorgung, um die Abhängigkeit von Russland weiter zu reduzieren. Um den Energieverbrauch zu reduzieren, brauche es zudem einen "verpflichtenden Energiesparplan".

Kalte Progression abgeschafft

Bereits beschlossen wurde heute die Abschaffung der kalten Progression im Finanzausschuss. Die schleichende Steuererhöhung wird somit mit 1. Jänner des kommenden Jahres abgeschafft. Konkret bedeutet das, dass vom Lohn künftig mehr übrig bleibt. Bisher waren Steuerzahler ab einer Einkommensgrenze von 11.000 Euro steuerpflichtig – im nächsten Jahr liegt diese Grenze bei 11.693 Euro. So steigen alle Tarifstufen in den kommenden Jahren um den Inflationswert.

Zusätzlich wird mit der Senkung der Lohnnebenkosten eine langjährige Forderung der Wirtschaft umgesetzt. Die Senkung des FLAF-Beitrags um 0,2 Prozent bringt eine Entlastung von 1,5 Mrd. Euro bis 2026. Bereits beschlossen wurde die Senkung der UV-Beiträge um 0,1 Prozent. Insgesamt werden somit die Lohnnebenkosten ab 2023 dauerhaft um insgesamt 0,3 Prozentpunkte gesenkt und der "Wirtschaftsstandort Österreich gestärkt", so Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP).

Im Bereich Land- und Forstwirtschaft werden zum ersten Mal seit 20 Jahren die Umsatzgrenzen für die Pauschalierung angehoben. Davon profitieren bis zu 50.000 Landwirte: Die Umsatzsteuerpauschalierungsgrenze wird von 400.000 Euro auf 600.000 Euro erhöht und die Ertragsteuerpauschalierungsgrenze von 130.000 Euro auf 165.000 Euro angehoben.

Bei der heutigen Sitzung wurde mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos auch rechtlich klargestellt, wer für die Ausfuhr von Gütern nach Russland Ausnahmegenehmigungen erteilen kann. Diese Aufgabe fällt Justizministerin Alma Zadić zu – auch bei Angelegenheiten, für die normalerweise die Länder zuständig wären.

Asyl-Sondersitzung verschiebt Ausländerwahl

Am morgigen Dienstag kommen die Abgeordneten zu einer weiteren Sondersitzung zusammen: Die FPÖ will einen Fokus auf das Thema Asyl legen und die eigene Ablehnung der Sanktionen gegen Russland einmal mehr thematisieren.

Die morgige Sitzung sorgt außerhalb des Parlaments für eine Verschiebung: Der Abschluss der "Pass Egal Bundespräsidentschaftswahl" kann nicht wie geplant am Heldenplatz stattfinden. Grund dafür ist die gesetzliche Bannmeile, die während Tagungen des Nationalrats gilt. Stattdessen wird der Abschluss der von Menschenrechtsorganisationen durchgeführten Wahl am Wiener Minoritenplatz gefeiert, wie SOS Mitmensch mitteilte.

Mit der "Pass Egal Wahl" will SOS Mitmensch auf die knapp 1,4 Millionen Menschen aufmerksam machen, die zwar in Österreich leben, aber bei der Bundespräsidentschaftswahl am 9. Oktober nicht mitstimmen dürfen. Bei der Wahl am Sonntag dürfen erstmals weniger Menschen wählen als bei der vorangegangenen Wahl. Denn obwohl die Einwohnerzahl steigt, sind immer mehr Menschen, die in Österreich leben, keine Staatsbürger und daher nicht wahlberechtigt. Am größten ist das Minus in Wien, gefolgt von der Steiermark