Das im Bundeskanzleramt geführte Gespräch zwischen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seinem slowakischen Amtskollegen Peter Pellegrini dürfte angespannt gewesen sein. Denn in der Slowakei kommt die geplante Indexierung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder gar nicht gut an. Diese sei nicht EU-rechtskonform und diskriminierend, erklärte Pellegrini und drohte auch bei seinem Besuch bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen: Sollte die Indexierung kommen, könnten zahlreiche Pflegerinnen und Betreuerinnen im Land in die Slowakei zurückkehren. Kurz wies die Vorwürfe des Ministerpräsidenten zurück.

Doch was würde es für Österreichs Pflegesystem bedeuten, wenn diese Frauen – und meist sind es Frauen – zuhause bleiben? Der Großteil jener, die als 24-Stunden-Betreuerinnen hilfsbedürftigen Menschen zu Hause zur Hand gehen, kommt aus Osteuropa, viele haben dort Familie. Das Lohnniveau für Pflege und Betreuung liegt in Österreich deutlich über jenem der Slowakei, die Familienbeihilfe wird von den Betroffenen eingerechnet. Laut Familienministerium flossen 2016 80 Millionen Euro Beihilfe nach Ungarn, 63 Millionen in die Slowakei. „Ist der Lohnunterschied ohne Familienbeihilfe nur gering zum Heimatland, werden viele Betreuerinnen wegfallen“, prognostiziert der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer.

Heimplätze werden attraktiver

Und dann beginne sich die Spirale zu drehen. „Wenn die Beihilfe wegfällt, müssen die Pflegevermittlungen die Preise anheben, damit sie die Arbeitskräfte halten können“, erklärt er. Preise, die Angehörige oder Betroffene zahlen müssen. „Und dann steht man vor der Entscheidung: Zahle ich deutlich mehr oder gebe ich den Betroffenen in ein Heim mit null Selbstbehalt?“ Das dürfte nach Meinung des Experten einen wahren Ansturm auf Heimplätze zur Folge haben. „Es könnte zu tausenden Anmeldungen kommen.“

Denn die gesteigerte Attraktivität von Heimplätzen ist dem mit 1. Jänner abgeschafften Pflegeregress geschuldet, dem „letzten Wahlzuckerl der rot-schwarzen Regierung“, wie ihn Kritiker nennen. Wie die daraus entstandenen Mehrkosten gedeckt werden sollen, ist hingegen bis heute unklar. Zwischen Bund und Ländern tobt seither ein Kampf um die Kostenübernahme, die von Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) veranschlagten 100 Millionen Euro seien viel zu wenig. Nach einer gestrigen Verhandlungsrunde in Wien gab das auch der Finanzminister selbst zu. Nun will man mit einheitlichen Methoden die Mehrkosten errechnen, bis zur Landeshauptleute-Konferenz Mitte Mai werde man über konkrete Beträge sprechen können. Kommt es zu keiner Einigung, drohen manche Länder mit Klagen gegen den Bund.

"Doppelzüngigkeit"

Diese Doppelzüngigkeit hat mich enttäuscht“, sagt Pichlbauer. „Die Länder haben beim Beschluss des Regresses nicht aufgeschrien, dass sich das alles nicht ausgeht. Jetzt, nach den Wahlen, jammern sie über die angeblich vom Bund bestellte Maßnahme.“

Sollte die Indexierung der Familienbeihilfe tatsächlich einen Teil des Betreuungspersonals dazu motivieren, in ihren Heimatländern zu bleiben, könnte das also weitreichende Auswirkungen haben, sagt Pichlbauer. Zwar gebe es bis heute keine genauen Zahlen, wie viele ausländische Kräfte in der heimischen Pflege und Betreuung tätig sind. „Aber dieser Bereich, der leider bis heute nie in das Gesundheitssystem überführt wurde, gleicht einem Kartenhaus“, erklärt der Gesundheitsökonom. „Wenn ich in einem Bereich Karten rausnehme, bricht das ganze System in sich zusammen.“