Das Heeres-Nachrichtenamt warnt in einem brisanten "Geheimpapier" vor einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen. Ohne Veränderungen an den EU-Außengrenzen sei "eine Wiederholung des Migrationsszenarios des Jahres 2015 wahrscheinlich", heißt es in dem der Kleinen Zeitung vorliegenden Papier, Im letzten Jahr strandeten mehr als eine Million Flüchtlingen in Europa, 850,000 kamen über die Türkei, 153.000 aus Nordafrika.
Laut dem "strategischen Lageausblick 2016" werde der Migrationsdruck auf Griechenland keinesfalls nachlassen - auch weil "die Türkei bei der Verhinderung des Ablegens von Migranten keinesfalls kooperativ" sei. Zudem stehe Libyen vor dem kompletten Zerfall, was die Bekämpfung der Schlepperkriminalität erschwere. Als Alternative zur Balkanroute könnten künftig auch andere Routen von den Flüchtlingen genutzt werden - etwa das Schwarze Meer, die Adria oder die Ostroute.
Kontingente werden Situation in Spielfeld verschärfen
"Österreich wird zum Pufferstaat"
Österreich wäre jedenfalls massiv betroffen: "Sollten die migrationsreduzierenden Maßnahmen an den nach Österreich führenden Routen bis zum Sommer nicht aufrecht erhalten werden, würde Österreich wieder mit einem massenhaften Migrationsaufkommen konfrontiert sein, welches die Dimension von 2015 erreichen bzw. sogar übertreffen würde. Damit könnte Österreich wieder zum Pufferstaat irregulärer Migration für Mitteleuropa werden."
Laut "Krone" wird in Krisenstäben des Heeres befürchtet, dass es auch dann zu einem Rückstau von Flüchtlingen in Österreich kommen könnte, wenn Deutschland weiter bereit wäre, Flüchtlinge aufzunehmen. Denn Bayern würde meist nur 3.000 Flüchtlinge pro Tag an der Grenze passieren lassen. "Das heißt, dass im Sommer dann bis zu 500.000 Flüchtlinge gleichzeitig bei uns in Österreich festsitzen würden, wenn sich ihre Kolonnen nach Deutschland stauen. Das wäre nicht zu schaffen."
"Dimension kann übertroffen werden"
In den Unterlagen wird auch darauf verwiesen, dass im Vorjahr etwa 153.000 Menschen über Nordafrika und 850.000 über die Türkei in der EU angelandet seien. "Diese Dimension kann dabei noch durchaus übertroffen werden", heißt es in dem Lagebericht. Auch sei der Migrationsdruck aus den Herkunftsländern "ungebrochen". "In der Türkei befinden sich aktuell mindestens 3 Millionen im Wesentlichen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak emigrierte Menschen. Angesichts der Lage der Sicherheit und Infrastruktur in den Herkunftsländern ist an eine Rückkehr aktuell nicht zu denken. Aufgrund zunehmender Perspektivenlosigkeit der Migranten ist mit einem weiteren Anwachsen des Migrationsdrucks nach Europa zu rechnen. Hinzu kommt der aktuell wieder aufgeflammte Kurdenkonflikt", so der Bericht des Nachrichtenamtes.
Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) weist unterdessen die jüngste Kritik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an Österreichs Flüchtlingspolitik vehement zurück: Deutschland wolle offenbar die Balkan-Route wieder öffnen, Österreich werde damit zur Wartezone für hunderttausende Flüchtlinge - "das kann und darf Österreich nicht akzeptieren", sagte der Minister.
Merkel hatte im Interview bei "Anne Will" massive Kritik an Österreichs Obergrenzen geübt: "Das ist nicht mein Europa":
Österreich habe im vergangenen Jahr 90.000 Asylwerber aufgenommen, "das ist pro Kopf mehr als Deutschland", betonte Doskozil. In den kommenden Jahren werde man inklusive der 90.000 von 2015 insgesamt 217.000 Asylanträge zulassen. "Das schultert Österreich für Europa und auch für Deutschland", erklärte der Minister.
Deutschland habe zwar formal keine Obergrenze, agiere aber seit Monaten mit Tageskontingenten und "profitiert derzeit massiv von den Grenzkontroll-Maßnahmen Österreichs und der Staaten auf der Balkan-Route", merkte Doskozil an.
"Direkt aus Griechenland holen"
Durch die deutschen Tageskontingente sei Österreich "Asylwerber-Wartezone für ganz Europa". Wenn das Nachbarland meine, man habe keine Obergrenze, "dann sollte Deutschland die Flüchtlinge direkt aus Griechenland nach Deutschland holen", forderte Doskozil. Eine europäische Lösung bedeute nämlich nicht, dass die Balkan-Route geöffnet und alle Flüchtlinge bis nach Mitteleuropa durchgewunken werden, erklärte der Minister. "Eine europäische Lösung heißt: Registrierung, Verteilung und Rückführung der Flüchtlinge von den EU-Außengrenzen aus."
Auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hatte die Kritik aus Deutschland bereits in der Nacht zurückgewiesen: Deutschland habe im Dezember selbst Tageskontingente eingeführt und damit einen gewaltigen Rückstau produziert: "Wir bremsen weiter - und das machen wir übrigens bereits auch für Deutschland."