"Die Heftigkeit der Kritik hat mich schon überrascht". So kommentierte Bundeskanzler Werner Faymann in einem Gespräch mit der Kleinen Zeitung die EU-Reaktionen beim Gipfel in Brüssel zur österreichischen Einführung von Flüchtlings-Obergrenzen. Die EU-Kommission müsse aber auch verstehen, dass Österreich heuer nicht wieder so viele Flüchtlinge aufnehmen werde wie im Vorjahr, so Faymann.
"Natürlich ist es das Recht der Kommission, Österreichs Asylobergrenzen juristisch zu prüfen. Nicht anders als unser Land ist auch die Europäische Union eine Gemeinschaft, die auf Rechtsstaatlichkeit basiert", argumentierte der SPÖ-Bundeskanzler. Aber: "Wir wissen schon jetzt, dass wir spätestens zur Jahresmitte deutlich über der Flüchtlingszahl wären, die wir als Land mit allen nötigen Integrationsschritten verkraften könnten. Es wäre politisch fahrlässig, da nicht rechtzeitig gegenzusteuern."
"Viele Pläne nicht verwirklicht"
Der "überwiegenden Mehrheit der Regierungschefs, aber auch dem EU-Kommissionspräsidenten und dem Ratspräsidenten" sei klar, "dass ich zu denen gehöre, die immer eine europäische Lösung forciert haben und forcieren", meinte Faymann. "Mittlerweile zeigt sich, dass die Maßnahmen, die wir in der EU im Vorjahr zur Bewältigung der Flüchtlingskrise beschlossen haben, nicht in dem Ausmaß greifen, wie sie greifen sollten. Viele dieser europäischen Pläne gibt es nur als Absicht. Die sind nicht verwirklicht worden. Dass man da für sein Land dann parallel Plan B vorbereitet, kann doch niemanden überraschen, der es gewohnt ist, Verantwortung zu übernehmen."
Faymann und Merkel
Europa durchlaufe gerade einen "Prozess", analysierte der Regierungschef: "Das spiegelt sich auch in der Widersprüchlichkeit des offiziellen Gipfel-Abschlussdokuments wider. Einerseits heißt es darin, dass wir das 'Durchwinken' beenden sollen. Andererseits sollen wir die Flüchtlinge durchlassen, wenn Deutschland diese akzeptiert." Er halte nichts vom "Zynismus so mancher, die da sagen, den Flüchtlingen sei sowieso nicht zu helfen", machte Faymann deutlich. "Aber spätestens mit Jahresende war mir klar, dass sich die Flüchtlingsströme des Vorjahres in noch viel dramatischerer Form wiederholen würden, wenn es uns nicht gelingt, die EU-Außengrenzen zu schützen und diese Aufnahmezentren samt Verteilung und allem anderen Notwendigen zu realisieren."
Die Frage, ob die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eigentlich noch seine Verbündete sei, kommentierte Faymann folgendermaßen: "Es gibt schon Unterschiede. Wir sind für Obergrenzen, Merkel will noch keinen solchen Richtwert festlegen. Vielleicht tut sie es eines Tages ja doch noch." Deutschland sei zehnmal so groß wie Österreich und habe zehnmal mehr Möglichkeiten. "Aber selbst das große Deutschland schafft es nicht allein."
Faymann und Orban
Österreich bekenne sich dazu, einen Teil des gemeinsamen Asylrechts in Europa zu übernehmen. "Aber nicht allein! Schauen Sie sich im Vergleich dazu an, wie viele Flüchtlinge in Ungarn in der Grundversorgung sind. Wenn Sie das überhaupt herausfinden, sehen Sie den Unterschied sofort." Zwar müssten Nachbar miteinander reden, doch werde er mit Ungarns nationalkonservativem Regierungschef Viktor Orban, "über die Frage, ob es ein Anrecht auf Asyl gibt oder nicht wohl nicht einig werden."
Die von Österreich angekündigten jährlichen und täglichen Asyl-Obergrenzen verstoßen nach Auffassung der EU-Kommission gegen europäisches und internationales Recht. "Eine solche Politik wäre klar inkompatibel mit Österreichs Verpflichtungen unter europäischem und internationalem Recht", hieß es in dem Brief der EU-Behörde vom Donnerstag. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos hatte Innenministerin Mikl-Leitner (ÖVP) in diesem Schreiben aufgefordert, die Beschlüsse zu überdenken. Österreich will heuer nur noch 37.500 Asylwerber aufnehmen, bis 2019 sollen es insgesamt maximal 127.500 sein.