Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: 78 Prozent der Fördermittel in der Filmbranche gehen laut "FC Gloria Frauen Vernetzung Film" an Männer, bleiben also 22 Prozent für Drehbuchautorinnen, Regisseurinnen und Produzentinnen. Im heimischen TV ist die Schieflage noch schroffer: Das Netzwerk geht von einem Frauenanteil von 12 Prozent aus. Dem gegenüber stehen 40 Prozent Frauen, die an der Filmakademie Wien ausgebildet werden - meist von Männern. Denn: Von zehn Professorenstellen war 2015 nur eine weiblich besetzt.
"Maikäfer flieg", die Verfilmung von Christine Nöstlingersautobiografischem Roman mit Ihnen als Produzentin, ist eine große Ausnahme in der männerdominierten Filmbranche. Die meisten Entscheidungspositionen wie Regie, Kamera, Drehbuch, Schnitt, Musik oder Produktionsleitung sind von Frauen besetzt. Ist das ein frauenpolitisches Statement?
GABRIELE KRANZELBINDER: Es ist in der Tat ein Film mit einem außergewöhnlich hohen Frauenanteil. Mit Ausnahme vom Ton sind alle wichtigen Entscheidungspositionen von Frauen besetzt. Das freut mich total, dass das so aufgegangen ist. Einerseits hat es sich so ergeben, ein schöner Zufall - genau wie die Uraufführung bei der Diagonale, andererseits ist es jahrelange Aufbauarbeit.
In welchen Bereichen sind Frauen in der Filmbranche nach wie vor eklatant in der Minderzahl?
KRANZELBINDER: In der Produktion sowie in der Postproduktion. Am Set auffallend ist es bei Licht, Ton und Kamera. Grundsätzlich gibt es in der Branche in allen Entscheidungspositionen deutlich weniger Frauen. Die Ausnahmen sind Maske und Kostüm - das sind klassische Frauenberufe.
Sie sind nach Ihrem Jusstudium 1994 ins Filmgeschäft eingestiegen und heute eine der erfolgreichsten Produzentinnen des Landes mit Fokus auf internationale Koproduktionen. Wie viele Produzentinnen gab es, als sie anfingen?
KRANZELBINDER: Ich erinnere mich an eine - die Frau Gerda Fritz von der Thalia Film. Sie hat allerdings fast ausschließlich fürs Fernsehen gearbeitet. Darüber hinaus? Niemand. Natürlich gab es in meiner Generation Frauen z. B. bei der coop99, aber die waren in erster Linie Regisseurinnen, die eben auch ihre eigenen Filme produziert haben. Ich habe mich da durchaus lange alleine auf weiter Flur gefühlt, eine Mentorin hat mir gefehlt. Der Alexander Dumreicher-Ivanceanu, damals mein Co-Geschäftsführer, hat mich als Produzentin sehr unterstützt. Er hat immer gesagt: "Geh du in die erste Reihe."
Und wie viele Produzentinnen zählt die Branche heute?
KRANZELBINDER: Mittlerweile, würde ich schätzen, sind es eine Handvoll Frauen. Es gibt viele Bestrebungen dahin gehend, dass sich etwas ändert, das ist teilweise auch schon spürbar. Es trauen sich immer mehr jüngere Frauen in das Produktionsgeschäft. Es ist eine Art Schneeballsystem: Je mehr weibliche Vorbilder man als Frau sieht, desto leichter überwindet man sich auch, sich in die erste Reihe zu stellen, eine Firma zu gründen oder Partnerin in einer Firma zu werden. Es dauert halt, aber es bewegt sich in die richtige Richtung.
Wie haben Sie es denn geschafft?
KRANZELBINDER: Meine Mutter war, als Alleinerzieherin und berufstätige Frau, immer eine Macherin. Daher war es für mich klar, dass man als Frau macht - und ich habe das Gefühl gehabt, es geht eh. Es hat eine Zeit gebraucht, bis ich festgestellt habe, dass es enorme Unterschiede für Frauen und Männer in der Branche gibt. Seit mir das bewusst ist, versuche ich auch, da stark dagegenzuhalten und mich für Frauen einzusetzen.
Das Filmfestival Diagonale widmet heuer erstmals jemandem aus der Produktion eine Personale. Was ist das für ein Gefühl, wenn das Schaffen von außen betrachtet und beurteilt wird?
KRANZELBINDER: Als Produzentin ist man das ja gar nicht gewohnt, weil man üblicherweise außerhalb der Branche nicht wirklich sichtbar ist. Als ich von der Diagonale vergangenen Herbst gefragt worden bin, war ich gerührt. Ich habe mich sehr geehrt und wertgeschätzt gefühlt - und gleichzeitig habe ich ein bisschen Angst bekommen. Dann habe ich mir gedacht: Das ist nun wieder eine typisch weibliche Reaktion, dass man sich gleich fürchtet.
Das Thema Vielfalt zieht sich wie ein roter Faden durch Ihr Portfolio - Spielfilme, Dokus, innovative Projekte, Popkonzert-Projektionen oder Kooperationen mit der Kunst. Was fehlt Ihnen denn noch?
KRANZELBINDER: "Maikäfer flieg" ist ein Film, der dem Portfolio noch etwas hinzufügen soll - er kann ein breites Publikum erreichen. Es ist ein Film nach einer bekannten Romanvorlage, ein Thema, das anrührt und berührt - und dabei tagespolitische Aktualität hat. Sonst haben wir, bis auf Fernsehen, alles abgedeckt.
Wann spricht Sie ein Stoff an?
KRANZELBINDER: Irgendetwas daran, sei es eine politische Aussage oder eine künstlerische Position, muss mich berühren. Es muss im Bauch ankommen.