Der „Tatort“ läuft und läuft. Nicht nur als flüchtende Täter-Silhouette im Vorspann, auch bei den Quoten. In der Kommissar-Oberliga von Münster und München gilt die einstige Schallmauer von 10 Millionen Zuschauern längst als Standard. Mit ambitioniertem Actiontrommelfeuer, spektakulären Stunt-Paraden sowie allerlei Toten hat Til Schweiger alias Nick Tschiller auch den Hamburger „Tatort“ seit März 2013 zuverlässig in den Quoten-Himmel geballert. Nach dem „Leichenrekord“ in „Kopfgeld“ mit 19 Opfern, soll nun in „Der große Schmerz“ ein Promi-Auftritt für weiteren Wirbel sorgen – wer wäre da geeigneter als die medial omnipräsente Helene Fischer.

Perücke

Der blonde Schlagerstar greift fürs „Tatort“-Debüt zum kurzen Schwarzen, nicht dem Rock, sondern der Perücke. Obendrein mit grünen Kontaktlinsen verfremdet, würde VIP-Frau Fischer auf einem Fahnungsfoto wohl kaum erkannt, der osteuropäische Akzent sorgt für weitere Verfremdung der verspielten Art – schließlich wurde die Sängerin in Sibirien als Jelena Petrowna Fischer geboren. Als russische Auftragskillerin Leyla hetzt die geheimnisvolle Helene gnaden- und atemlos durch die Nacht.

Temporeich und düster geht es traditionell in den Filmen von Regisseur Christian Alvart zu. Schweigers Stammregisseur gönnt sich den kreativen Luxus, die Krimi-Folgen aus der Hansestadt nicht als abgeschlossene Episoden, sondern als zusammenhängende Geschichten zu erzählen. Cooler Kommissar gegen gemeingefährlichen Clan-Chef, so lautet das Motto der Tschiller-Thriller. Das Story-Gerüst passt auf einen Bierdeckel, die Figuren kommen aus der Klischeekiste. Macht aber nichts, Hauptsache Spannung, Action und Atmosphäre laufen auf Hochtouren. Von der betulichen Kommissarin Blum (Eva Mattes) aus Konstanz oder dem betont schrulligen Saarbrücker Ermittler Stellbrink (Devid Striesow) ist Nick Tschiller und sein Sidekick Yalcin Gümer (Fahri Yardim) meilenweit entfernt. Einen so fiesen Finsterling wie den Hamburger Clan-Chef Firat Astan (Erdal Yildiz) kann die Böse Buben-Konkurrenz der anderen Städte gleichfalls nur höchst selten aufbieten.

Winzige Handlung

Die fast winzige Handlung geht so: Der König der Gangster lenkt seine Geschäfte unbeeindruckt aus dem Knast und droht mit einem großen Coup. Der koksende Innensenator will den Verbrecher durch eine Verlegung nach Bayern entsorgen. Um das zu verhindern, lässt der Clan-Chef die Tochter von Tschiller (gespielt von Schweigers Tochter Luna) samt deren Mama entführen. Will der wackere Ermittler seine Lieben lebend wiedersehen, muss er dem Bösen beim Gefangenentransport diskret die Flucht ermöglichen. Ein gefährliches Doppel- und Dreifachspiel beginnt, bei dem nicht nur die grünäugige Auftragskillerin mit der schwarzen Perücke den Finger schnell am Abzug hat. Die skrupellosen Schergen des Verbrechers foltern den Supermann im Staatsdienst schier erbarmungslos. Tauchen, gleich zum Auftakt, seinen Kopf unter Wasser oder bedrohen mit blitzendem Werkzeug dessen Extremitäten.

Munition

Plausibilität und Psychologie? Geschenkt! Schweiger trat an, den Krimi-Klassiker aufzumischen und ein actionreiches Genre-Spektakel der pompösen Art zu bieten: Popcorn-Achterbahn fürs Pantoffelkino. Für Spott und Häme in sozialen Netzwerken, auch auf Twitter ist Tschiller schließlich Spitzenreiter, gibt es wieder manche Munition. „Boah, hat der Falten“, wird es wohl heißen, wenn Schweiger in Großaufnahme mit hartem Licht unter Wasser getaucht ist. „Wir woll’n Helene sehen!“, wenn sie mit Perücke kaum erkennbar ist. Und natürlich, weshalb der ursprüngliche Sendetermin nach den Pariser Terroranschlägen vom NDR verschoben wurde, besonders brutal ist „Der große Schmerz“ gar nicht.

Die Frage lässt sich freilich erst beantworten, wenn man den zweiten Teil der Doppelfolge gesehen hat. "Fegefeuer" steht am 3. Januar auf dem Programm. Wird Schweiger, der nur für vier „Tatort“-Episoden unterschrieben hat, das Spektakel überleben? Muss er wohl, schließlich steht die neue Aufgabe für Hauptkommissar Nick Tschiller bereits fest, wenngleich „außer Dienst“: Am 4. Februar kommt er mit dem „Tatort: Off Duty“ in die Kinos. Dann lässt er es, mit einem Budget von acht Millionen Euro, noch mehr krachen und ermittelt in Istanbul und Moskau gegen die Mafia – 007 lässt grüßen. DIETER OSSWALD