Der 1. Mai 2016 war wohl der Tiefpunkt in der politischen Laufbahn des Werner Faymann. Er wusste, dass die Parteibasis nicht nur aufmarschieren würde, um die Errungenschaften der Gewerkschaften und Arbeiterschaft zu feiern. Nein, dieser 1. Mai würde für viele Genossen auch die passende Gelegenheit sein, um ihm, Faymann, einen Denkzettel zu verpassen. Ein Amtsinhaber, für den mit dem Innehaben des Amtes auch schon die Arbeit getan ist, wurde irgendwann selbst den leidensfähigen Sozialdemokraten zu wenig. Man vermisste Dynamik, Ideen, schlicht: Politik. Und so kam es dann auch. Obwohl man die Rede des Kanzlers vorverlegte, entbrann der Protest. Unter lauten Pfiffen hielt Faymann seine letzte große Ansprache. Wenige Tage später trat er ab, um nicht von den roten Landesobleuten demontiert zu werden.

Ein Jahr später vermag niemand abzuschätzen, was passiert, wenn am 1. Mai im roten Wien wieder marschiert wird. Wird auch Christian Kern von der eigenen Basis verschmäht? War das Plakat "Christian du Werner" nur der Anfang?

Am Tag danach wollte sich von der Bundesparteiebene gegenüber der APA jedenfalls niemand zu Wort melden. Und das alles ausgerechnet vor den Feierlichkeiten zum 1. Mai am Montag. Anfragen der APA in der Bundesparteizentrale, dem Bundeskanzleramt oder im Parlamentsklub wurden am Sonntag zwar beantwortet, Statements zu diesen Ergebnissen und ihren Folgen für die SPÖ gab es allerdings keine. Stadtrat Michael Ludwig räumte im Ö1-"Mittagsjournal" ein: "Einen Nobelpreis für Geschlossenheit haben wir gestern nicht gewonnen." Mit einem neuerlichen Pfeifkonzert morgen am Wiener Rathausplatz rechnet er zwar nicht, appellierte aber vorsorglich an alle, dass es nicht wieder zu einer derartigen "Entgleisung" wie im Vorjahr kommt.

Eine gespaltene Truppe

Der Landesparteitag der Wiener SPÖ lieferte einen Blick in das innere Wesen der gespaltenen Gruppe. Die Order, dass es keine Streichungen geben sollte, wurde geflissentlich ignoriert. Das Monument Michael Häupl bekam nur 77,4 Prozent der Stimmen bei seiner Wahl zum Landesparteiobmann. Michael Ludwig, den viele schon für einen möglichen Nachfolger halten, erreichte gar nur 67,8 Prozent. Aus der einst geschlossenen Phalanx, die in alle Lebenslagen der Wiener einwirkte, ist ein zerstrittener Haufen geworden. Schlag- und Kampagnenkraft? Fremdwörter. Selbst der sonst nie um einen Spruch verlegene Häupl konnte nur noch einen Appell für die gemeinsame Arbeit an seine Parteifreunde richten und meinte zerknirscht: "Eine Spur weniger gegenseitige Beschädigung hätte ich mir erhofft."

Bures will im Nationalrat bleiben

In der Tageszeitung "Österreich" erklärte Nationalratspräsidentin und SPÖ-Bezirkschefin in Wien-Liesing Doris Bures am Sonntag: "Zeiten der Veränderung sind immer schwierig, aber notwendig. Nun ist es wichtig, dass wir in die Zukunft und auf die Wiener Wahl 2020 blicken." Auf die Frage, ob sie Bürgermeisterin in der Bundeshauptstadt werden wolle, erklärte sie: "Ich liebe Wien, aber bin mit großem Engagement Nationalratspräsidentin."

Dass sich Häupls Ankündigung, erst nach der Nationalratswahl abzutreten, als Eigentor erweisen könnte, wird immer deutlicher. Denn statt für die Partei im Bund zu werben, werden die potenziellen Nachfolger lieber Stimmung für sich machen - und das wohl nicht selten auf Kosten ihrer Genossen. 

Unter diesen Gesichtungspunkten muss man auch Kerns in der Dauerschleife gebrachte Beteuerung "gewählt wird erst 2018"  betrachten. Denn wenn die stärkste Landespartei in Splittergruppen zerfällt, vergeht sogar dem Kanzler die Lust auf den Urnengang.