Die Anklage beschränkte sich auf die Zeit der "Ungarn-Aktion". Dabei waren im Frühsommer 1944 binnen weniger Wochen mehr als 400.000 Juden aus Ungarn nach Auschwitz verschleppt und in den meisten Fällen sofort ermordet worden.
Gröning hatte im Prozess seine Beteiligung und moralische Mitschuld am Holocaust eingeräumt. Er hatte gestanden, Geld von Verschleppten gezählt und zur SS nach Berlin weitergeleitet zu haben. Dies brachte ihm später den Beinamen eines "Buchhalters von Auschwitz" ein. Er sagte aus, zwei- bis dreimal vertretungsweise Dienst an der sogenannten Rampe getan zu haben, um dort Gepäck zu bewachen. Dort wurden deportierte Juden zur Ermordung selektiert.
Der Richter sagte am Mittwoch an Gröning gewandt, der Dienst in Auschwitz "war Ihre Entscheidung. Sicherlich aus der Zeit heraus bedingt, aber nicht unfrei". Gröning sei es lieber gewesen, dort zu sein als an der Front. "Ich will Sie hier nicht als feige bezeichnen, Herr Gröning, aber Sie haben sich hier für den sicheren Schreibtischjob entschieden."
Zudem ging der Richter auf die Frage ein, inwiefern ein Prozess Jahrzehnte nach dem Holocaust sinnvoll ist. "Man kann auch nach 70 Jahren hier Gerechtigkeit schaffen. Man kann hier ein Urteil finden. Man muss es auch", betonte er.
Die Staatsanwaltschaft hatte dreieinhalb Jahre Haft gefordert, von denen 22 Monate als verbüßt angesehen werden sollten, weil eine Verurteilung schon vor Jahrzehnten möglich gewesen wäre. Erste Ermittlungen hatte es 1977 gegeben. Anwälte der über 70 Nebenkläger hielten das von der Staatsanwaltschaft verlangte Strafmaß für zu gering. Die Verteidiger plädierten auf Freispruch, weil Gröning den Holocaust im strafrechtlichen Sinne nicht gefördert habe.
Die Nebenkläger - zumeist Überlebende von Auschwitz - waren mit dem Urteil einverstanden. "Es erfüllt uns mit Genugtuung, dass nunmehr auch die Täter Zeit ihres Lebens nicht vor einer Strafverfolgung sicher sein können", hieß es in einer Erklärung von Anwalt Thomas Walther. Erstmals habe sich in einem Prozess wegen NS-Verbrechen ein Angeklagter zu seiner Schuld bekannt und sich dafür entschuldigt.
Auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem begrüßte das Urteil gegen den ehemaligen SS-Mann als "wohlverdient". "Wir hoffen, dass dies die deutschen Behörden ermutigen wird, weitere Fälle zu verfolgen", so der Leiter Efraim Zuroff. Konkret nannte er beispielsweise ehemalige Mitglieder von Einsatzgruppen.
In dem knapp drei Monate dauernden Prozess, der auch auf großes Interesse im Ausland stieß, hatten etliche Holocaust-Überlebende in erschütternden Details ihre Verschleppung sowie den Massenmord in dem Vernichtungslager geschildert. Dabei kamen unter anderem die menschenverachtenden medizinischen Experimente von Lagerarzt Josef Mengele sowie das Vergasen und Verbrennen von Juden im Takt der eintreffenden Züge zur Sprache. Auch die Schrecken der nächsten Generation, die mit dem Schatten ihrer in den Konzentrationslagern ermordeten Familien aufwuchsen, wurden eindringlich geschildert.
In dem womöglich letzten Auschwitz-Prozess hatte Gröning eine Antwort auf die Frage zu geben versucht, was den Einzelnen zur Beteiligung an den Verbrechen hatte bringen können. Wegen der schlechten Gesundheit des 94-Jährigen stand der Prozess mehrmals auf der Kippe, mehrere Verhandlungstage fielen aus.
Gröning kam erst jetzt vor Gericht, weil die Justiz bis 2011 darauf bestand, dass KZ-Aufsehern eine direkte Beteiligung an den Morden nachgewiesen werden muss. Frühere Ermittlungen gegen Gröning waren daher 1985 eingestellt worden. Erst nachdem die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen ihre Beurteilung änderte, kamen die Ermittlungen um einige KZ-Aufseher wieder in Gang.