"Bildlich gesehen kam ich aus dem Loch gekrochen, und das Erste, was ich gesehen habe, waren Verträge", heißt es in ihrem zweiten, am Freitag erschienenen Buch "Natascha Kampusch: 10 Jahre Freiheit", das sie gemeinsam mit Heike Gronemeier geschrieben hat. Kampusch beschreibt die vergangenen zehn Jahre mit den "neuen Mauern", die sich in der Freiheit gebildet haben, wie sie sich von Anfang an von Medienberatern, Psychologen oder Anwälten okkupiert erlebte.
Die von ihr beschriebene "Freiheit" beginnt damit, dass sie bereits Stunden nach ihrer "Selbstbefreiung" aus dem Haus im niederösterreichischen Strasshof schon auf der Polizeiinspektion Deutsch-Wagram mit der "Journaille" konfrontiert wird. "Jeder Journalist, jede Person auf der Straße wusste subjektiv besser über mich und meine Lebensgeschichte Bescheid als ich selbst", erläutert die inzwischen 28-Jährige das ambivalente Verhältnis in der Freiheit.
"Objekt der Analyse"
Die ersten Wochen in dieser verbringt sie im Wiener AKH, und ihre ersten Eindrücke führen für sie rückblickend zur Feststellung, dass die Patienten auf der psychiatrischen Station "noch die Normalsten in dem ganzen Wahnsinn" gewesen seien. Denn sie empfindet sich als "Objekt der Analyse, des Ehrgeizes, der eigenen Bekanntheit" und als eine "Goldene Gans", die man rupfen müsse. Kampusch zeigt aber auch das Positive der vergangenen Jahre auf, etwa ihr Engagement in Sri Lanka gemeinsam mit der Hilfsvereinigung Don Bosco und ihre Versuche, trotz aller Widrigkeiten weiterzumachen und eine Bestimmung für sich zu finden.
Das Buch enthält zudem immer wieder Rückblicke auf ihre am 2. März 1998 begonnene Gefangenschaft, als sie auf dem Weg zur Volksschule entführt wurde und dann über acht Jahre lang in einer Art Verlies leben sollte. Dass für sie nach der gelungenen Flucht eine neue Identität nicht infrage kam, erklärt sie damit, dass ihr diese bereits in der Gefangenschaft genommen wurde, als sie Prikopil zwang, sich einen neuen Namen zu suchen. "Als 'Frau Meier aus Linz' hätte ich mir vielleicht manches ersparen können", schreibt sie, das hätte sie aber dazu gezwungen, erneut in eine andere Rolle zu schlüpfen.
"Hilfe" von Außen
Ihr Leben als Natascha Kampusch in Wien sollte sich jedoch früh als problematisch erweisen: Am 28. August 2006 verlas der Wiener Kinderpsychiater Max Friedrich einen von ihr geschriebenen Brief, bei dem dieser auch "selbst Hand angelegt" habe, wie Friedrich gegenüber Medien eingeräumt hat. "Dieser Brief war der erste Baustein eines Images, das mir bis heute vorgehalten wird", schreibt Kampusch - auch wenn dieser gut gemeint gewesen sei. Retrospektiv setzt sie ihren Schritt an die Öffentlichkeit in gewisser Weise mit dem Verlust ihrer Geschichte gleich.
Kampusch erzählt auf den 234 Seiten, wie sie in der Außenwelt viel Unterstützung bekam, aber etwa in manchen Briefen erneut mit "Besitzansprüchen und krankhafte Phantasien" konfrontiert wurde. Sie beschreibt die vielen Pöbeleien und selbst körperliche Übergriffe, denen sie im öffentlichen Raum ausgesetzt war und erzählt von dem "Trotz und Masochismus", den sie alldem entgegensetzte - ehe sie dann nach rund sechs Jahren Probleme damit bekam, ihre Wohnung überhaupt zu verlassen.
Dazu schildert sie ihre Eindrücke zur Evaluierungskommission und den Vorwürfen von deren Leiter Ludwig Adamovich, von den durch Kriminalexperten erneut zurückgewiesenen Verschwörungstheorien und ihr Leben mit Anschuldigen ihr gegenüber "mögliche Mittäter zu decken, zu lügen, in Selbstmitleid zu versinken und beständig Profit aus einer Geschichte zu schlagen". Fast resignierend stellt Kampusch dann zum Schluss des Buches fest: "Es scheint einfach kein Ende haben zu dürfen. Aber gegen Verschwörungstheorien kann man sich weder mit Argumenten noch mit der Wahrheit wehren. Der Wahnsinn lebt einfach weiter."