Und wieder purzelt auf der Insel alles durcheinander. Vor einem Jahr schon hatten die Briten mit ihrem Brexit-Votum sich selbst und ganz Europa in Aufregung versetzt. Diesmal, bei Theresa Mays vorgezogenen Neuwahlen, kam es nicht zum "Erdrutschsieg", den die Premierministerin erwartet hatte. Stattdessen verspielte May aus reiner Überheblichkeit ihre parlamentarische Basis - und wohl auch den eigenen Kopf.

Denn die Tory-Chefin stürzte nicht nur ihre Partei völlig unerwartet ins Chaos. Sie gab auch der Labour-Opposition Gelegenheit zur Konsolidierung und ruinierte mit ihrer Fehleinschätzung alle eigene Autorität.

Den Brexit-Zeitplan und ihre Verhandlungspläne brachte sie auf dramatische Weise ins Wanken. Am Freitag morgen wusste in London noch niemand, ob zum geplanten Beginn der Brüsseler Brexit-Verhandlungen nächste Woche überhaupt ein britisches Verhandlungsteam zur Verfügung steht.

Was war geschehen? May hatte kalkuliert, dass niemand den linkssozialistischen Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn ernst nehmen und dass ihr die Stimmen von Labour- und Ukip-Wählern zufallen würden. Und hier und da, vor allem im post-industriellen Nordengland, ging ihre Rechnung auch auf.

Anderswo aber schwenkten Ex-Ukip-Wähler zurück zu ihren Labour-Ursprüngen, weil ihnen Corbyn ein besseres Leben, eine politische Alternative zur herrschenden Austerität offerierte. Vielen gefiel, was sie bei Corbyn als ehrliches Auftreten empfanden. May kam ihnen abgehoben, realitätsfremd und aggressiv vor.

Vor allem aber gelang es Corbyn, junge Leute zu mobilisieren und an die Wahlurnen zu bringen. Dieselben jungen Leute, die bei den letzten Wahlen und beim EU-Referendum noch abseits gestanden hatten, machten sich am Donnerstag auf den Weg.

Hohe Wahlbeteiligung dokumentierte reges Interesse. Und während die Jungen vor allem in London und im Süden Englands Labours Stimmenanteil schwunghaft vergrößerten, hielten sich viele Ältere, die May verunsichert hatte, und die sie als Wähler brauchte, zurück.

Auch Pro-Europäer, denen Mays blinder Vorstoß zu einem "harten Brexit" unheimlich geworden war in den letzten Monaten, drängten offenbar an die Urnen. "The Revenge of the Remainers", die Rache derer, die "in Europa" hatten bleiben wollen, war plötzlich angesagt.

Resultat dieses Aufstandes ist nun, dass die gesamte Brexit-Politik in Frage gestellt ist und kein Mensch sagen kann, wie es weiter gehen soll. Und dass Grossbritannien sich tief gespalten zeigt - zwischen Jung und Alt, zwischen Norden und Süden, zwischen London und der Provinz.

Im Morgengrauen des Freitag erwachten viele Briten so verblüfft zu einer neuen politischen Landkarte. Einige letzte, entscheidende Stücke fehlten noch, in diesem Mosaik. In Nordirland hielt sich eine Unionisten-Partei, die Partei der Demokratischen Unionisten, schon vorsorglich bereit als Tory-Stütze. Ein so knappes Ergebnis gab es seit Jahrzehnten nicht.

Ansonsten war Nigel Farage plötzlich wieder da und signalisierte, er wolle Ukip erneut übernehmen. Auf der anderen Seite formierte sich zögernd eine Regenbogen-Koalition. Jeremy Corbyn entdeckte, dass er erstmals im Leben ernst genommen wurde.

Und die Wettbüros machten Boris Johnson über Nacht zum neuen Favoriten für den Tory-Vorsitz. Die Urheberin dieses unvorhergesehenen Chaos aber, Theresa May, musste den Tag bereuen, an dem sie sich zur Abhaltung dieser Neuwahlen überreden ließ.