Zugegeben, "Je t'aime" klingt eine Spur erotischer als "I love you". Aber irgendwie hat es mit Paris nie geklappt. Den Jungspund mit dem großen Rucksack und der kleinen Geldbörse hat die vornehme Stadt angeekelt ausgespuckt, und als der ältere Herr an die Seine zurückkehrte, erlitt er erneut Schiffbruch. Liebe kann man nicht erzwingen, n'est pas?
London hingegen: Ein Blick, und es hat gefunkt. Gefunkelt, besser gesagt, die Sterne nämlich. Das erste Hotelzimmer stand unter freiem Himmel und bestand aus einem Zweimannzelt. Die Frau darin war die merk- und liebenswürdigste Tramperin der Welt. Die Liebe hält bis heute an: jene zur Tramperin und jene zur Stadt.
Das zweite Hotel war dann tatsächlich eines. Es trug einen Stern auf der blätternden Fassade. Das Zimmer war so klein, dass unsere Rucksäcke kaum Platz hatten. Aber es gab noch ein Problem: die Tür. Sie ließ sich von innen nicht mehr öffnen. Das Klettern über das Dach und der Blick des Rezeptionisten bleiben für immer im Kopfkino des Lebens. "Any problem?", hat der Mann freundlich gefragt.
Die Veränderungen
Die Sterne wurden mehr, die Liebe wuchs. Die Punks aus der Carnaby Street verschwanden, die Ramschläden kamen. Die Dandys aus der King's Road gingen, die Supermärkte wuchsen. Doch nie hat London seine DNA verloren. Die Stadt hat sich gewandelt, aber nicht verleugnet.
Die Menschen. Nicht Engländer, Londoner. Mein Gott, wie ich sie liebe! Ihre Gelassenheit, ihre Kauzigkeit, ihr störrisches Anderssein. Noch immer gilt: Es herrscht Nebel über dem Ärmelkanal, Europa ist von Großbritannien abgeschnitten.
Multikulti. Nicht aufgesetzt, gelebt. Mit allen Problemen, wie in jeder Beziehung. Das East End, vormals No-Go-Bereich, heute Hipster-Country. Zu hip schon, die ganz Trendigen ziehen schon weiter, noch östlicher. Der Sonntagsmarkt in der Brick Lane: zwar schon touristisch erschlossen, aber noch immer geerdet. Tausendmal berührt, tausendmal etwas gespürt. Was genau? Erklär mir Liebe!
Die Oasen der Stille
Die sattgrünen Parks im Augustlicht, die dämmrigen Pubs im Novemberschimmer. Die Verkäuferin im Lebensmittelladen, die "My love" sagt; der Zeitungsmann, der einem nach dem zweiten Tag das richtige Blatt in die Hand drückt.
Das Leben. Und der Tod. Und die Oasen der schlafenden Seelen. Die winzige Kirche St. Mary The Virgin schlummert in einer Seitengasse von Wimbledon. Der Friedhof rundum ist wunderbar verwuchert, verwildert, verwachsen; die Engel aus Stein recken ihre mächtigen Flügel in den taubengrauen Himmel.
Nebenan, im Kirchhof, findet gerade ein Wohltätigkeitsbazar statt. 50 Pence für das Teeservice. "Thank you, my love", sagt die Dame mit dem sahneweißen Haar.
Zugegeben, "Je t'aime" klingt eine Spur erotischer als "I love you". Andererseits haben Sie wohl noch nie die Stimme der Dame mit dem sahneweißen Haar gehört.