95.000 Euro für eine „energetische Reinigung“ des Krankenhauses Nord in Wien, 19.000 Euro für eine Untersuchung mittels Wünschelrute der Seestadt Aspern: Energetiker sind durch diese Fälle von esoterisch genutztem Steuergeld in die Schlagzeilen geraten. Und das, obwohl Vertreter des Berufsstandes nicht müde werden zu unterstreichen, dass jener „Bewusstseinsforscher“, der am Krankenhaus Nord tätig war, kein Energetiker ist. Daraus ergibt sich die Frage: Wer darf sich Energetiker nennen? Und woher kommt die Faszination für dieses Gewerbe, das bis in die höchsten Entscheidungsebenen zu reichen scheint?

„Energetiker ist ein freies Gewerbe, genauso wie Berufsfotograf, Friedhofsgärtner oder Werbeagentur“, erklärt Wolfgang Jaspers, Fachgruppen-Geschäftsführer der persönlichen Dienstleister bei der Wirtschaftskammer und damit Sprecher für die Berufsgruppe. „Im Unterschied zum reglementierten Gewerbe muss keine Befähigung vorgewiesen werden“, sagt Jaspers.

Das heißt: Energetiker kann jeder sein, der sich selbst in der Lage sieht, „Hilfestellung zur Erreichung einer körperlichen bzw. energetischen Ausgewogenheit“ anzubieten. So heißt es im Berufsbild. Diese energetische Ausgewogenheit könne über Hilfsmittel wie Edelsteine, Interpretationen der Aura oder durch Bioresonanz erreicht werden.

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18.000 Energetiker in Österreich

Mehr als 2300 Humanenergetiker gibt es in der Steiermark, 960 in Kärnten - daneben gibt es noch Tier- und Raumenergetiker, insgesamt 18.000 in Österreich. „Natürlich muss ein Energetiker etwas können, sonst wird er am Markt nicht bestehen“, sagt Jaspers. Es sei „die absolute Ausnahme“, dass Energetiker keine Ausbildung hätten. Diese Ausbildungsstätten sind in den meisten Fällen private Einrichtungen, nur selten werden auch am Wifi Kurse angeboten, so Jaspers. Auch habe es in den letzten drei Jahren gerade einmal zwei Konsumentenbeschwerden bei ihm gegeben.

Aber: Während ein Kunde relativ einfach beurteilen kann, ob ein Fotograf ein gutes oder ein schlechtes Foto gemacht hat, fehlt diese Überprüfbarkeit bei Energetikern - wie auch Jaspers sagt. Dass die Humanenergetik „keinen Anspruch auf wissenschaftliche Beweisbarkeit“ erhebt, ist sogar im Berufsbild festgeschrieben. Denn: „Wäre die Wirkung wissenschaftlich nachweisbar, würden Energetiker ja auf körperlicher Ebene arbeiten - das würde in die Zuständigkeit von Ärzten fallen“, sagt Jasper. Auch solch horrende Summen wie in den beiden bekannt gewordenen Fällen seien nicht üblich. Die Honorare würden sich im Spektrum von 70 bis 250 Euro bewegen, sagt Jaspers.

Weiters habe man ein „Qualitätssicherungsprogramm“ eingeführt, das das Wissen über Berufsbild und Standesregeln - z. B. keine unseriösen Versprechungen abgeben - in Online-Kursen abfragt. Eine Überprüfung der Fähigkeiten des Energetikers sei das aber nicht. Während sich die Standesvertreter von „Scharlatanen“ distanzieren, sagt Michael Jachan: „Die Wirtschaftskammer versucht, ihre Energetiker von der 'wilden' Esoterikszene mittels Pseudoseriosität abzugrenzen, und gaukelt so eine nicht vorhandene Zuverlässigkeit vor.“ Jachan ist Mitglied der Gesellschaft für kritisches Denken und kreidet an, dass durch einen Gewerbeschein für Energetiker Fachbegriffe der Naturwissenschaften wie Energie oder Schwingung „sinnentleert verwendet werden“.

Gefährlich sei das, wenn kranke, hilfesuchende Menschen durch Angst vor der „Schulmedizin“ bei Energetikern Besserung suchen und dadurch zu spät eine echte Therapie beginnen würden. Für Kranke könne es so zu einer „Lose-Lose-Situation kommen“, sagt Jachan.