Sie stand unter der Dusche, als sie ihn zum ersten Mal spürte: Karl Arsch. Diesen Namen verlieh Nicole Staudinger ihrem aggressiven Tumor, den sie selbst in ihrer Brust ertastete. Zu diesem Zeitpunkt war sie 32 Jahre alt und Mutter von zwei kleinen Söhnen. Als sich im Laufe ihrer Therapie herausstellt, dass sie die selbe Mutation in sich trägt wie Angeline Jolie, entschließt sich Staudinger, ihre Brüste und Eierstöcke entfernen zu lassen. Den Schock der Diagnose, die Todesangst danach, die Qualen der Therapie - all das hat sie im Buch "Brüste umständehalber abzugeben" niedergeschrieben.

Was war der Auslöser dieses Buch zu schreiben?

NICOLE STAUDINGER: Ich habe eigentlich immer gesagt: Wenn eines feststeht, dann, dass ich niemals ein Buch schreiben werde. Das war nicht mein Metier, ich habe gedacht, ich könnte das nicht. Doch nach meiner Chemo lag ich auf der Couch, neben mir der Eimer, weil mir übel war, und sagte zu meinem Mann, gib mir bitte den Laptop. In diesem Moment habe ich angefangen zu schreiben, habe alles einfach so herunter geschrieben und nie mehr einen Satz geändert. 

Das Buch:
Das Buch: "Brüste umständehalber abzugeben", Eden Books © EDEN

Also war es eine Art Therapie für Sie?

STAUDINGER: Ja, das scheint mein Kanal gewesen zu sein. Man hört ja oft, dass Frauen während einer Krebstherapie kreativ werden – ich fing an zu schreiben.

Das Buch heißt „Brüste umständehalber abzugeben“, ihrem Tumor haben Sie den Namen „Karl Arsch“ verliehen – war der Humor ein Weg für Sie mit der Krankheit umzugehen?

STAUDINGER: Für mich war es der Weg, ja. Jede Frau muss ihren eigenen Weg finden, ich bin von Natur aus ein sehr humorvoller Mensch. Und ich habe gemerkt: Je mehr Angst ich bekam, desto humorvoller wurde ich. 

War das für Ihr Umfeld verstörend: Krebs und trotzdem lustig?

STAUDINGER: Ich bin ja nicht als Clown herumgelaufen, es gab auch viele dunkle Tage, an denen ich mich zurückgezogen und geweint habe. Diese Tage habe ich auch heute noch. Aber eine Freundin sagte einmal zu mir: Du machst es uns sehr leicht. Ich habe mich nicht versteckt, ich wollte trotzdem am Leben teilnehmen, auch wenn dieses Jahr das schlimmste in meinem Leben war.

Staudinger mit ihren beiden Söhnen
Staudinger mit ihren beiden Söhnen © Lena Böhm

Als Sie die Diagnose bekamen, waren Sie 32 und hatten zwei kleine Kinder – was war größer: Die Angst um das eigene Leben oder die Sorge um die Kinder?

STAUDINGER: Die Gedanken waren ausschließlich bei den Kindern. Wenn es nur um mich ginge, das wäre eine Sache. Aber ich dachte nur an die Kinder, meine Eltern und meinen Mann. Man selbst stirbt ja nur einmal – dramatisch ist es ja vor allem für die Menschen, die zurückbleiben. Die Kinder sind zu klein, um ohne Mama aufzuwachsen. 

Haben Sie auch hauptsächlich für die Kinder gekämpft?

STAUDINGER: Ich habe Frauen kennengelernt, die die Chemo abgebrochen haben. Das wäre nie mein Weg gewesen, ich hätte auch noch ein Jahr länger Chemotherapie gemacht – Hauptsache ich werde wieder gesund. Der Weg war mir relativ egal, solange ich wusste, es geht gut aus.

Wie schwierig ist es, den eigenen Kindern zu erklären, dass die Mama krank ist?

STAUDINGER: Für mich war das sehr schwierig: Der Kleine war damals zwei, dem konnte ich nicht einfach erklären, was los ist. Der Große war sechs Jahre, mit ihm musste ich sprechen – und das war ganz schlimm. Unsere Kindergärtnerin hat mir geraten, offen mit ihm zu reden: Da ist etwas, das da nicht hingehört, deshalb bekomme ich Medikamente und die machen mich müde, lassen die Haare ausfallen, aber sie machen mich auch wieder gesund. Und ich habe den Kindern auch immer wieder gesagt: Die beste Medizin, das seid ihr. Seither erzählt mein großer Sohn ganz stolz, dass er die Mama gesund gemacht hat.

Sie schreiben, dass durch Sie der Brustkrebs auch in das Leben ihrer Bekannten und Freunde getreten ist – wie waren die Reaktionen, gerade von Freundinnen?

STAUDINGER: Meine Freundinnen waren schockiert und betroffen, aber sie standen und stehen wie Säulen neben mir. Es kann ja keine Frau die Angst vor Brustkrebs von sich weisen, deshalb war es für all meine Freundinnen so wichtig, dass ich wieder gesund werde. 

Sie sind Trägerin einer Mutation im sogenannten Brustkrebs-Gen und haben nach der Therapie ihre Brüste und Eierstöcke entfernen lassen. Als Angelina Jolie diesen Schritt öffentlich machte, musste sie mit vielen Anfeindungen und negativen Kommentaren kämpfen. Wie waren die Reaktionen bei Ihnen?

STAUDINGER: Diese wüsten Kommentare entstehen ja nur aus Unwissenheit. Als ich mich testen ließ, hat mir ein Team von Ärzten erklärt, dass mein Risiko an Brustkrebs zu erkranken bei fast 90 Prozent liegt. Meine Einstellung als junge Mama ist, dass ich alles mache, was in meiner Macht steht, um nie wieder Krebs zu bekommen. Ich kann absolut nachvollziehen, dass Angelina Jolie vorsorglich diesen Schritt getan hat – und außerdem hat ihr da keiner reinzureden. Ich habe das auch machen lassen und ich muss ehrlich sagen, mich hat dazu auch keine andere Meinung interessiert, nicht einmal die von meinem Mann. Das ist mein Leben! Ich habe aber auch nie Ablehnung erfahren, im Gegenteil erfahre ich jetzt sehr viel Neid, weil ich die schönsten Brüste der Welt habe. (lacht) 

Am Ende des Buches schreiben Sie, dass die Angst vor dem Krebs nicht einfach mit dem Ende der Therapie aufhört. Wie gehen Sie damit um?

STAUDINGER: Die Angst ist schon weniger geworden, ich hatte ja einen sehr aggressiven Tumor, meine Rückfallquote ist daher gering. Dennoch sind die Tage, an denen ich zur Nachkontrolle muss, absoluter Horror. Die Angst ist da, aber die muss ich mir irgendwie zum Freund machen, sonst nimmt sie mir die Lebensfreude. Meinen größten Zusammenbruch hatte ich erst, als schon alles überstanden war: Ich habe Fotos auf meinem Handy sortiert und bin dabei auf ein Foto von mir während der Chemo gestoßen, ohne Haare. Da bin ich in Tränen ausgebrochen, weil mir zum ersten Mal richtig bewusst wurde: Ich hatte Krebs, ich hatte eine Chemo und das war alles ganz, ganz schlimm. Wenn man in dem Sturm drinnen ist, muss man sich durchkämpfen, und erst wenn man zurückblickt, realisiert man, was man durchgemacht hat.

Sind Sie nun, nachdem die Therapie durchgestanden und Sie krebsfrei sind, wieder "die Alte"? Oder hat sich Ihr Leben sehr verändert?

STAUDINGER: Für mich war das Leben schon immer lebenswert, ich war schon immer lebensfroh, aber jetzt bin ich noch ein Stück relaxter, sogar unvernünftig. Wir wollten heuer zum Beispiel nicht auf Urlaub fahren, aber an einem Montag sage ich zu meinem Mann, sollen wir nicht doch fahren? Und am Dienstag sind wir schon im Auto nach Kroatien gesessen. Ich denke mir: Wozu überlegen? Einfach machen.