Für ihre Bewunderer war sie die "Grande Dame" der Österreichischen Literatur: In ihrem mehr als 60 Bücher starken Lebenswerk, das in 25 Verlagen veröffentlicht und in elf Sprachen übersetzt wurde, schrieb Gertrud Fussenegger sieben Jahrzehnte lang über den Glauben und die Geschichte. Heute, Donnerstag, starb die vielfach ausgezeichnete Autorin, Lyrikerin und Essayistin 96-jährig im St. Anna-Heim in Linz. Sie hinterlässt fünf Kinder, sowie zahlreiche Enkel und Urenkel.
Werdegang. Gertrud Fussenegger wurde am 8. Mai 1912 in Pilsen (Tschechien) als Offizierstochter geboren und verbrachte ihre Kindheit in Galizien, Pilsen, Dornbirn und Telfs. In Innsbruck und München studierte sie Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie und promovierte 1934 über den altfranzösischen Rosenroman. Im Jahr darauf heiratete sie den Bildhauer Elmar Dietz, mit den vier Kindern lebte sie ab 1943 allerdings als Alleinerziehende in Hall in Tirol. 1947 folgte die Scheidung, 1950 heiratete sie den Bildhauer Alois Dorn, mit dem sie einen weiteren Sohn hatte und 1961 nach Leonding bei Linz zog.
Kontroversen. Prägend vor allem für die Anfänge ihres Schreibens und die späteren Kontroversen um ihre Person war ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus. Schon 1933 trat Fussenegger der österreichischen NSDAP bei, eines ihrer ersten Bücher, die "Mohrenlegende" wurde jedoch von den NS-Gutachtern als Kritik an der Rassenideologie und "katholisches Machwerk" abgelehnt. Auch gegen andere ihrer Bücher gab es Einwände, viele von Fusseneggers weiteren, meist religiös konzipierten Romanen, Gedichten und Rezensionen fanden allerdings in wichtigen NSDAP-Organen Verbreitung.
Umstrittene Vergangenheit. Der "Völkische Beobachter" druckte etwa 1938 als erste Zeitung ihr Gedicht "Stimme der Ostmark" ab. Nach 1945 brachte Fussenegger das Gedicht massive Kritik ein, weil es als Bejubelung des Untergangs Österreichs und als Verherrlichung des Führers verstanden wurde. Rund 50 Jahre später erklärte die Autorin, es täte ihr Leid, "viele gute Gedanken verschwendet" zu haben, "auf eine Sache, die dann ein Gräuel war". 1946 wurden zunächst einige ihrer Werke in Berlin und Wien auf die "Liste der gesperrten Autoren und Bücher" gesetzt.
Intensive Schaffensperiode. Bald darauf begann für Fussenegger allerdings wieder eine intensive Schaffensperiode. Mit einer Reihe ihrer Werke erlangte sie internationales Ansehen, etwa mit der "Böhmischen Trilogie" - "Die Brüder von Lasawa" (1948), "Das Haus der dunklen Krüge" (1951) und "Das verschüttete Antlitz" (1962) - oder mit ihrer 1979 veröffentlichten Autobiografie "Spiegelbild mit Feuersäule". Auf mehr als 60 Bücher, darunter zehn Romane, Erzählungen, Gedichte, Dramen und Essays, sollte ihr Werk mit den Jahren anwachsen. "Ich habe mich von der Vergangenheit nie getrennt", sagte Fussenegger zu ihrem 90. Geburtstag. "Als Epiker lebt man in der Vergangenheit viel mehr als in der Zukunft. Die Vergangenheit, die blüht aus jedem Eck."
Weitere Werke. Weitere wichtige Werke, die Fussenegger unter ihren Bewunderern den Titel der "Grande Dame der österreichischen Literatur" eintrugen, sind etwa "Die Pulvermühle" (1968), "Sie waren Zeitgenossen" (1983), die Erzählbände "Kaiser, König, Kellerhals" (1981), "Der Goldschatz aus Böhmen" (1989), die dramatische Szenenfolge "Pilatus" (1979) sowie die Gedichtbände "Widerstand gegen Wetterhähne" (1974) und "Gegenrufe" (1986). Im Böhlau Verlag erscheint im kommenden Juni eine Dissertation zu Fusseneggers erzählerischem Werk von Rainer Hackel als erste wissenschaftliche Monografie des "von der Literaturwissenschaft bisher nicht angemessen gewürdigten" Lebenswerks der Autorin. In ihren Romanen "spiegeln sich Krisen und Katastrophen der Moderne in Handlungsmustern der Vergangenheit. Geschichte wird zur Gegenwart", so der Klappentext.