33 mutmaßliche Jihadisten sitzen gegenwärtig in österreichischen Gefängnissen. Damit ist auch die Angst vor zunehmendem Einfluss radikaler Islamisten und ihrem Radikalisierungspotenzial im Strafvollzug angekommen. "Noch halte ich das Problem für überschaubar", versuchte Justizminister Wolfgang Brandstetter zu beruhigen, lud am Donnerstag aber dennoch zu einem Symposium zu dem "sehr ernsten und internationalen Problem" ins Justizministerium.
Wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder ähnlichen Terrorismus-verbundenen Vorwürfen sitzen derzeit 33 Personen in insgesamt sechs österreichischen Justizanstalten. Der Großteil, nämlich 30 von ihnen, in Untersuchungshaft, viele in der Wiener Josefsstadt oder in Graz-Jakomini, vier von ihnen sind weiblich.
200 kämpfen in Nahost
Wie ernst man das Problem des Jihadismus nehmen müsse, zeigten die Zahlen jener, die Österreich verlassen hätten, um sich radikal islamistischen Gruppen im Irak und in Syrien anzuschließen, sagte Karin Dotter-Schiller von der Abteilung für Straf- und Maßnahmenvollzug des Justizministeriums eingangs. 200 Personen seien laut offiziellen Angaben des BMI ausgereist, "inoffizielle Quellen" gingen sogar vom "bis zu dreifachen dieser Zahl aus". Im Europavergleich liege Österreich, gemessen an der Einwohnerzahl, damit an zweiter Stelle nach Dänemark und vor Belgien.
Einmal in Haft, seien jedoch nicht nur bereits des Terrorismus beschuldigte Personen ein Problem, die dort andere für ihre Ideologie gewinnen könnten, erklärte Alexander Brammann vom deutschen "Violence Prevention Network" im Vorfeld vor Journalisten. Gefährdet seien vor allem auch die, die im Gefängnis "orientierungslos" und "auf der Suche nach Identität" seien und daher leicht auf die Seite gewaltbereiter Ideologien gezogen werden könnten. Mit seinem Verein versucht er seit 2001 bei Rechtsextremen und seit 2007 auch bei Jihadisten in Gruppen- und Einzeltherapien Anti-Gewaltarbeit zu leisten und Verständnis für Demokratie zu entwickeln.
An der Haltestelle
Das Problem - sowohl in Haft als auch außerhalb - sei, dass "Salafisten die besseren Sozialarbeiter sind," gab der Diplom-Psychologe, bekennende Muslim und Islamexperte Ahmad Mansour zu bedenken. Sie seien immer dort, wo Jugendliche nichts mit ihrer Zeit anzufangen wüssten: an der Bushaltestelle, vor Spielhallen - oder eben im Gefängnis. Dort würden sie Jugendlichen, die aufgrund verschiedener Faktoren - etwa Problemen in der Familie oder der Schule, Lebenskrisen, Depression - empfänglich für Radikalisierung seien, Halt geben. Daher müsste Deradikalisierungsarbeit primär in der Schule beginnen.
Da Jihadisten einer "verdrehten Vision" des Islams anhingen - die in ihrer Sicht freilich die einzig wahre ist - dürfe man ihnen im Zuge von Deradikalisierungsmaßnahmen keinesfalls von der islamischen Gemeinschaft oder der Gesamtgesellschaft isolieren, betonte der Theologe und Islamwissenschafter Ahmad Iravani: "Wir müssen sie als Mitglieder unserer Familie sehen, die gewisse Dinge falsch verstanden haben". Keinesfalls sollte man die Glaubwürdigkeit des Islams oder eines Imams infrage stellen.
Auch Mansour, der zu den prominentesten deutschen Islamkritikern zählt, nahm die islamische Gemeinschaft in die Pflicht. Wenn sich Jugendliche Jihadisten zuwenden würden, sei das auch ein Resultat des Versagens von Moscheen: "Die Imame haben jahrelang über Themen gepredigt, die nur ihre Eltern interessierten, in einer Sprache, die sie nicht verstanden. Salafisten bieten Antworten an, die auf Facebook leicht zugänglich und zudem noch auf Deutsch sind." Der radikale Islam sei online "überrepräsentiert", es sei Aufgabe der toleranteren Strömungen Gegennarrative - auch im Internet - anzubieten.
Vor diesem Hintergrund und weil auch ein nicht gewaltbereiter Salafismus Nährboden für Jihadismus sein könne, sei eine "gewissenhafte Auswahl von Gefängnisseelsorgern" zentral, mahnte Mansour. Diese würden "sehr genau, in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ausgewählt, hatte Justizminister Brandstetter erklärt.
Mindestens so zentral scheinen aber konkrete Deradikalisierungsprogramme in Haft zu sein, wie jenes von Brammanns "Violence Prevention Network". Bei denen, die ihre Programme durchlaufen hätten, habe es 68 Prozent weniger Inhaftierungen im Zusammenhang mit ideologisch motivierten Gewaltverbrechen gegeben, sagte er. Doch auch er scheitert in Deutschland zunehmend am Geld, die Finanzierung ist kürzlich ausgelaufen. In Österreich gibt es vergleichbare Deradikalisierungsinitativen bisher noch nicht. Doch wie sagte Brandstetter anfangs: "Dieses Symposium ist der Beginn der Auseinandersetzung mit der Thematik."
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