Seit Jahren ist der Irak ein von Krisen und Konflikten geschütteltes Land. Der Abzug der US-Truppen hinterließ ein Machtvakuum. Seit Anfang 2014 brachte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sukzessive irakische Gebiete unter ihre Kontrolle, verübte Gräueltaten und löste Ströme an Binnenflüchtlinge aus. Mittlerweile mussten im Land mehr als 2,1 Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen.

Über fünf Millionen Menschen sind landesweit auf Hilfe angewiesen. Die hohe Zahl der Binnenflüchtlinge ist kaum bewältigbar. Zusätzlich versorgt der Irak noch mehr als 235.000 syrische Flüchtlinge. Allein in der autonomen Region Kurdistan im Norden des Landes leben 900.000 Binnenflüchtlinge, die Bevölkerungszahl ist damit um rund 20 Prozent gestiegen. "Hinter diesen Zahlen stehen konkrete Menschen, erschreckend oft sind es Kinder", sagte Caritas-Präsident Michael Landau bei einer Pressereise in die Region anlässlich der Kinderkampagne 2015.

"Ein Aufwachsen im Kontext von Krieg und Flucht wird für immer mehr Kinder zur Realität", meinte Landau. "Wir müssen die Gegenwart der Kinder erträglich machen, sie so unterstützen, dass sie eine Perspektive in ihrem Leben finden", ergänzte Christoph Schweifer, Auslandshilfe-Generalsekretär der Caritas.

Hilfe für Flüchtlinge

"Die Flüchtlinge sind schon sehr frustriert, denken, dass sie keine Zukunft mehr haben", betonte der chaldäisch-katholische Bischof von Erbil, Bashar Warda. Rund 12.700 vorwiegend christliche Familien haben in Erbil, der Hauptstadt des irakisch-kurdischen Gebiets, Zuflucht gefunden. Schon jetzt gebe es Probleme bei der medizinischen Versorgung, auch die Weiterführung der Nahrungsmittelhilfe in den nächsten Monaten sei noch nicht gesichert, so der Bischof. Er forderte im Gespräch mit österreichischen Journalisten militärische Unterstützung der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen den IS, in letzter Konsequenz auch Waffenlieferungen.

"Die Caritas Österreich hat seit Ausbruch des Syrien-Konflikts im März 2011 über sechs Millionen Euro zur Verfügung gestellt", schilderte Landau. Gemeinsam mit der lokalen Partnerorganisation Un Ponte Per erreicht die Caritas rund 100.000 Binnenflüchtlinge im Irak.

Mehr als 1000 Lebensmittel- und über 1200 Hygienepakete wurden so bereits verteilt. "Gerade Familien in der Abgeschiedenheit, die in Rohbauten leben, dürfen nicht vergessen werden", sagte Landau. In so einem unvollständigem Betonbau ohne Fenster und Türen neben einer Landstraße in der Nähe von Erbil wohnen auch die beiden Schwägerinnen Jacklin und Khukle. Wie Tausende andere Yeziden (Jesiden) flüchteten sie im August vor dem Terror des IS aus ihren Heimatorten im Sinjar-Gebirge (Sindschar-Gebirge) nahe der syrischen Grenze. Am 3. August erschossen Kämpfer der Terrormiliz den Mann von Jacklin, der Ehemann von Khukle wurde gekidnappt. "Wir nahmen unsere Kinder und rannten, rannten so schnell wir konnten davon", erinnerte sich Jacklin. Ihr Sohn Evin war bei der Flucht erst zwei Wochen alt. Ihre zweite Tochter Nivin ist mittlerweile eineinhalb Jahre.

Khukle wurde mit 13 Jahren verheiratet, bekam mit 14 ihren ersten von insgesamt vier Söhnen im Alter zwischen fünf und elf Jahren. Sie hat seit dem 3. August nichts mehr von ihrem Mann gehört, weiß nicht, ob er überhaupt noch lebt. Insgesamt vier Familien wohnen seit einem halben Jahr in Zelten im Rohbau, die Kinder sammeln sich um einen kleinen Gasbrenner, es ist kalt. "Wir ziehen alles an was wir haben, trotzdem frieren wir", schilderte Jacklin ihre Lage. Auf den lediglich 15 Kilometer entfernten Bergen liegt Schnee. Die Schule besucht keines der zahlreichen Kinder, die Familien haben kein Geld für den Bus. "Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll", klagte Khukle. Die Frauen haben keine Ausbildung, ihre Ehemänner waren die Grundversorger der Familien.

"Wir warten, warten, warten"

Unterstützung von der Caritas erhält auch das Al-Karma Camp in Ainkawa, einem Vorort von Erbil. Gegründet hat es Priester Najeeb Michael, selbst ein Flüchtling aus Mossul. Im Rohbau, der ursprünglich ein Hotel hätte werden sollen, leben auf vier Stockwerken 80 Familien, insgesamt 400 Menschen. "Wir sind hier und warten, warten, warten. Auf was genau, wissen wir selbst nicht", erzählte der Priester. Anfang August ist der 57-Jährige Faraj Toma gemeinsam mit seiner Familie aus Qaraqosh (Karakosh/Bakhdida), einer Stadt zwischen Mossul und Erbil, geflüchtet. In Qaraquosh lebten ursprünglich rund 50.000 Menschen, bis größte christliche Stadt von der Terrormiliz IS überrannt wurde. "Wir hatten auf unserer Flucht panische Angst, insbesondere um unsere Töchter", erzählte die 45-jährige Mutter Wafna Twafiq. Die Familie hat sechs Kinder, das Enkelkind Samar ist erst sieben Monate alt und hat ein Loch im Herzen.

"Wir wissen nicht, ob unsere Verwandte und Freunde noch leben. Viele wurden von IS-Kämpfern getötet, wir haben zu fast allen, die geflohen sind, den Kontakt verloren", erzählte der Vater. Die neunköpfige Familie lebt in einem kleinen Raum im ersten Stock, am Boden liegen Matratzen. Eine Arbeit hat niemand, der Tag ist geprägt von Langeweile. Und doch findet die Mutter positive Worte für die Situation. "Wir sind hier nicht alleine, können Zeit mit den anderen Familien verbringen, die Kinder besuchen wieder die Schule." In einem weiteren Zimmer lebt eine siebenköpfige Familie, der jüngste Sohn Fabian ist erst fünf Tage alt. Auch sie sind aus Qaraqosh geflohen - zu Fuß, erzählte der Vater. Eine Rückkehr in die Heimat schließt er aus. "Wir wollen nach Deutschland oder Amerika auswandern", erzählte er.

Flüchtlingszahlen steigen weiter

"Die Zahl der Flüchtlinge wird weiter steigen", sagte Landau. Noch ist im Irak Winter, zahlreichen Menschen fehlt es an wetterfester Kleidung. Der Caritas-Präsident forderte von der österreichischen Regierung eine sofortige Aufstockung des Auslandskatastrophenfonds von fünf auf 20 Millionen Euro, wie im Regierungsprogramm vorgeschrieben. "Die Aufstockung ist eine Frage des Wollens, nicht des Könnens, die Mittel sind da", meinte Landau.

(S E R V I C E - Caritas-Spendenkonten: Erste Bank, IBAN: AT23 2011 1000 0123 4560, BIC: GIBAATWWXXX. PSK, IBAN: AT92 6000 0000 0770 0004, BIC: OPSKATWW. Kennwort: Kinder in Not. www.caritas.at)