Frei nach dem Klischeehandbuch verläuft ein normaler Tag im Leben eines Österreichers wie folgt: aufstehen, wenn der Sulmtaler Hahn kräht, Lederhose raufwuchten und sich das Buttersemmerl auf der Gmundner Keramik kredenzen. Danach geht’s mit dem Fiaker zur Arbeit auf die Almhütte, wo bei der Ankunft einmal herzlich gejodelt wird.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Nein? Aber würde man die Klischees von Österreich verdichten, dann wäre der erste Absatz die Essenz dessen, was man sich außerhalb der Landesgrenzen über Österreich erzählt.

Klischeefalle

„Klischees sind Bilder, die man in der Gesellschaft und in der Literatur oft weitergetragen hat“, sagt Psychologin Manuela Paechter von der Universität Graz, die zu diesem Thema forscht. Auch die Fachfrau und gebürtige Bayerin ist nicht vor der Klischeefalle sicher. Das Klischee vom Land der Berge hat sich auch in ihrer Vorstellung derart festgesetzt, dass sie mit dementsprechenden Erwartungen nach Österreich kam. Die vielfältige Landschaft von der Südsteirischen Weinstraße bis zum Neusiedler See habe sie dann doch überrascht. Und so geht’s uns allen. Aber warum eigentlich? „Unser Gehirn ist ein Geizhals, der sparsam arbeitet. Wir müssen unsere Welt fortwährend interpretieren und uns darin orientieren. Wir müssen diese Vielfalt an Informationen reduzieren. Ein Klischee hilft uns, die Welt zu vereinfachen und uns zu orientieren.“

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Paechter gibt ein sehr einfaches Beispiel: „Ich möchte im Sommer auf Urlaub fahren, da habe ich ja gar nicht die Kapazität, alle Informationen über alle Länder zu sammeln und zu bewerten. Und ein Klischee wie im Fall von Österreich – Berge, blauer Himmel, Genuss – hilft uns bei der Entscheidung.“

Unsere Umwelt liefert Klischees

Doch wie kommen wir auf die Idee, dass Italiener mit Händen und Füßen sprechen oder Briten das Schlangestehen mit Passion zelebrieren? „Es ist unsere Umwelt, die uns diese Klischees liefert: Eltern, andere Personen, Medien, teils die Literatur, Filme und Werbung.“

Klischees brauchen eine Weile, um sich zu entwickeln, denn wie guter Wein brauchen sie Zeit, um zu reifen. Und dieser Bilderreigen, der da entsteht, treibt erstaunliche Blüten, wie man bei „Sound of Music“ sehen kann. Die Touren zum Film sind meist von Amerikanern gut gebucht, aber viele Österreicher können nicht ein einziges Lied mitsummen. Die Idylle ist also trügerisch wie der Toplitzsee.

Einerseits sind gewisse Klischees fleißige Helferlein des Tourismus, andererseits ist der Grat zwischen den positiven und negativen Folgen des Klischees schmal. Würde sich das Klischee vom ewig grantelnden Wiener Kellner genau so in den Köpfen festsetzen wie „Sound of Music“, würde wahrscheinlich kein US-Tourist jemals wieder das Prückel oder das Hawelka beehren.

"Das Klischee ist eine hartnäckige Krankheit"

Gerade in diesem Fall zeigt sich die Janusköpfigkeit des Klischees. „Das Klischee ist eine hartnäckige Krankheit. Man kann sie heilen, aber es dauert lange. Denn wir suchen bewusst nach Informationen, die zu unserem Klischee passen. Ich verfestige das Klischee dadurch, indem ich nur das suche, das dem Klischee entspricht. Erst dann, wenn wir reale Erfahrungen machen, können wir unser Klischee abbauen.“

Empfohlenes Gegenmittel: Konfrontation mit der Realität, die bewusste Auseinandersetzung mit seiner Umwelt hat schon so manches hartnäckige Klischee vertrieben. „Wenn dann die Information aus der Umwelt, die wir erhalten, doch nicht mit unseren Hypothesen übereinstimmt, nennt man das kognitiven Konflikt. Und diesen müssen wir aushalten und lösen. Das ist auch emotional schwer“, wie Paechter diesen lebenslangen Lernprozess analysiert.

Das beste Handwerkszeug dafür gibt’s übrigens gratis, wie Paechter empfiehlt: „Denken hilft.“