Bei einem schweren Erdbeben in Mittelitalien sind in der Nacht auf Mittwoch mehrere Menschen ums Leben gekommen, Dutzende weitere Personen wurden verletzt. Die am stärksten betroffenen Gemeinden waren Amatrice, Accumoli und Arquata del Tronto. Die drei Orte haben gemeinsam mehr als 70 Nachbarorte, die noch nicht alle erreicht wurden. Straßen sind durch Geröll blockiert. Ein Krankenhaus der Region und ein Katastrophen-Koordinations-Center wurden zerstört.
"Amatrice existiert nicht mehr, unsere ganze Gemeinde liegt in Trümmern", sagte Bürgermeister Sergio Pirozzi. In dem Ort mit seinem mittelalterlichen Zentrum, der sich auf der Liste der schönsten Dörfer Italiens befindet, haben viele Römer ihre Urlaubsdomizile.
235 Millionen Soforthilfe
Der italienische Regierungschef Matteo Renzi hat am Mittwochnachmittag die vom Erdbeben schwer getroffene Gemeinde Amatrice besucht. Renzi traf die Koordinatoren des Zivilschutzes und dankte den Rettungseinheiten für ihr Engagement.
"Wir lassen niemanden alleine", hatte Renzi zuvor in einer kurzen Erklärung in Rom betont. Es gehe nun vor allem darum, weitere Opfer aus den Trümmern zu retten. Als Soforthilfe stellte die Regierung 235 Millionen Euro bereit.
Mindestens 159 Tote
Bei dem schweren Erdbeben in Mittelitalien sind nach Angaben des Zivilschutzes vom späten Mittwochabend mindestens 159 Menschen ums Leben gekommen. "Und diese Bilanz ist nicht endgültig", sagte Renzi am Mittwochabend bei einem Besuch in der Katastrophen-Region. Es gehe um Lebensgeschichten, Menschen und Familien. "Es ist ein grenzenloser Schmerz."
368 Verletzte und Kranke seien seit dem Morgen aus der Gegend der stark betroffenen Orte Amatrice und Accumoli weggebracht worden. Italien stehe nun solidarisch zusammen, um die großen Herausforderungen nach dem Erdbeben zu meistern. Dutzende Menschen werden noch vermisst. Die Chancen, sie lebend zu finden, sinken.
Beben der Stärke 6,2
Das Beben in einer Tiefe von vier Kilometern hatte nach Angaben der ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) in Wien eine Magnitude von 6,2. Das Epizentrum liegt südlich der Stadt Norcia bei Accumoli in der Region Marken.
Nach dem ersten Beben um 3,36 Uhr mit einer Stärke von 6,2 wurden sechs weitere Beben zwischen Stärke 4 und 5 gemeldet. Außerdem wurden rund 70 Beben mit einer Stärke zwischen 3 und 4 gezählt. Der Zivilschutz rechnete mit weiteren Nachbeben in den kommenden Tagen.
Das Außenministerium steht in Kontakt mit den Behörden in Italien. "Bisher gibt es keine Hinweise, dass sich Österreicher unter den Todesopfern befinden", sagte Thomas Schnöll, Sprecher des Außenministeriums, im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Derzeit versucht man mit jenen Österreichern, die sich laut Reiseregistrierung aktuell in der Krisenregion aufhalten, Kontakt aufzunehmen.
Betroffen sind die Regionen zwischen Umbrien, Latium und den Marken nordöstlich von Rom, die weniger stark besiedelt sind. Das Beben war bis in die italienische Hauptstadt und in anderen Teilen des Landes zu spüren. Der Zivilschutz zog Vergleiche mit dem Erdbeben in L'Aquila im Jahr 2009, damals waren 300 Menschen gestorben.
Berichte: Kärntner Urlauber vor Ort
Das Beben war in weiten Teilen Italiens zu spüren - zwei Kärntner, die derzeit in Italien ihren Urlaub verbringen, schildern im Antenne-Interview, wie sie das Unglück miterlebt haben:
"Die ganze Gemeinde ist zerstört"
Zu den Opfern zähle eine Familie mit zwei kleinen Kindern, die unter den Trümmern ums Leben gekommen sei, sagte der Bürgermeister der kleinen Gemeinde Accumoli, Stefano Petrucci, dem Sender RaiNews24. Weiters erklärte er: "Die ganze Gemeinde ist zerstört worden. Wir müssen für die gesamte Bevölkerung Zelte errichten."
Die ganze Gemeinde Arquata del Tronto wurde aus Sicherheitsgründen evakuiert - ein Ehepaar unter den Trümmern seines Hauses ums Leben. Unter den Todesopfern in Pescara del Tronto in der Adria-Region Marken befindet sich mindestens ein Kind.
Eine Mutter, die wegen des schweren Beben in L'Aquila vor sieben Jahren aus der Stadt weggezogen ist, hat bei dem jetzigen Beben laut Medienberichten ihr Kind verloren. Martina Turco war mit ihrem Partner und ihrer eineinhalbjährigen Tochter in Arquata del Tronto in ihrem Ferienhaus, als das Gebäude einstürzte. Die Familie wurde verschüttet.
Die Frau und ihr Lebensgefährte überlebten, der Vater mit Verletzungen am ganzen Körper. Beide wurden in ein Krankenhaus gebracht. Für die kleine Marisol kam die Hilfe zu spät.
Auch Amatrice im Apennin, rund 140 Kilometer nordöstlich von Rom, wurde schwer getroffen. Die Gemeinde sei isoliert, da Geröll die Straßen zur Kleinstadt blockierte. Eine Brücke, die nach Amatrice führt, stürzte teilweise ein, was die Rettungsarbeiten erheblich erschwerte. "Amatrice existiert nicht, die Gemeinde ist eine Stadt in Trümmern", sagte Bürgermeister Sergio Pirozzi.
Die Patienten des Krankenhauses von Amatrice mussten die Anlage verlassen. Auch in anderen Orten der Region wurden am Mittwoch beschädigte Krankenhäuser und Seniorenheime geräumt. Die italienischen Rettungsmannschaften arbeiten gegen die Zeit, um Dutzende Menschen aus den Trümmern zu holen. Die Regierung entsandte zudem Soldaten, um die betroffenen Berggemeinden von den Trümmern zu befreien. Viele von ihnen seien nach dem Beben vollkommen isoliert.
Mehrere Nachbeben
Das Erdbeben hatte die gesamte Region zwischen Umbrien, Latium und den Marken erschüttert. In der rund 150 Kilometer vom Epizentrum entfernten Hauptstadt Rom war es deutlich zu spüren. Viele Bewohner wurden aus dem Schlaf gerissen. Es folgten mehrere kräftige Nachbeben.
Nach dem ersten Erdbeben um 3.36 Uhr kam es zu einem stärkeren Nachbeben gegen 4.45 Uhr. Experten warnten vor weiteren Nachbeben. Die Bevölkerung in den betroffenen Gemeinden verbrachte die Nacht im Freien aus Angst vor weiteren Einstürzen. Ein weiteres Nachbeben wurde gegen 6.00 Uhr in Arquata gemeldet.
Eine Angstnacht erlebte auch die umbrische Kleinstadt Norcia, Geburtsort des Heiligen Benedikt. Schäden wurden in der Kathedrale gemeldet. Die vielen Touristen, die sich in der Ortschaft befinden, strömten in Panik auf die Straßen. Eines der Probleme in der gebirgigen Region ist die schlechte Erreichbarkeit der Dörfer. Straßen waren zum Teil durch Steinschlag verlegt.
Kurz sagt Italien Unterstützung zu
Außenminister Sebastian Kurz hat auf Twitter Italien Hilfe angeboten: "Meine Gedanken sind bei den Opfern und Angehörigen. Wir bieten unsere bestmögliche Unterstützung an", twitterte er. Auch das Rote Kreuz und der Arbeiter-Samariter-Bund (ASBÖ) sagten ihre Unterstützung zu und sind für einen möglichen Auslandseinsatz gerüstet.
Der italienische Regierungschef Matteo Renzi und Präsident Sergio Mattarella haben den Opfern des Erdbebens bereits Hilfe zugesagt. Aus vielen Ländern gingen Zusagen für Unterstützung ein.
Die Europäische Union will Italien nach dem schweren Erdbeben in Mittelitalien unterstützen. "Die EU ist bereit zu helfen", erklärte der für Krisenmanagement und humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissar Christos Stylianides am Mittwoch in Brüssel. Bisher habe Italien die EU-Kommission um Satellitenbilder zur Schadenseinschätzung gebeten. "Das wird natürlich gemacht werden", sagte Stylianides. Derzeit prüfe das Nothilfe-Koordinierungszentrum der EU-Kommission noch gemeinsam mit den italienischen Stellen, welche zusätzliche Hilfe geleistet werden kann.
Auch Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat Italien Hilfe angeboten. "Wir stehen in dieser Stunde in Trauer und Solidarität vereint an der Seite unserer italienischen Freunde und Partner", zitierte das Auswärtige Amt Steinmeier via Twitter.
Erinnerungen an Erdbeben von 2009
Das Erdbeben sei mit jenem des Jahres 2009 vergleichbar, das die Abruzzen-Hauptstadt L'Aquila zerstört und über 300 Todesopfer gefordert hatte, berichtete Italiens Zivilschutzchef Fabrizio Curcio. Damals ereignete sich das Erdbeben in der Stadt L'Aquila, diesmal lag das Epizentrum in einem Berggebiet nördlich von Rom, das weniger bevölkert sei, berichtete Curcio.
Bauweise als Problem
Laut der Expertin Anna Scolobig von der ETH Zürich, die mit dem IAASA-Institut (International Institute for Applied Systems Analysis) zusammenarbeitet, ist das Hauptproblem in diesen gefährdeten Gebieten, dass die Häuser nicht stabil genug gebaut sind. Demnach besteht für halb Italien ein hohes Risiko für Erdbeben. Etwa 23 Millionen Personen leben in diesen risikoreichen Gebieten, das sind 38 Prozent der Bevölkerung. 60 Prozent der Gebäude in diesen Gebieten sind nicht erdbebensicher gebaut.
Assisi: Keine Sachschäden
Keine Sachschäden wurden in Assisi gemeldet. Die Basiliken des Heiligen Franziskus, die bei schweren Erdbeben im Herbst und Winter 1997/1998 beschädigt worden waren, seien unversehrt, sagte Pater Enzo Fortunato, Sprecher der Franziskaner-Gemeinde von Assisi. Das Erdbeben habe die ganze Franziskaner-Gemeinde geweckt. Kontrollen ergaben, dass die Basiliken von den Erdstößen nicht beschädigt worden seien.
Die Basilika in Assisi ist wegen der Fresken Giottos und seiner Schüler bekannt. Bei den schweren Erdbeben im Zeitraum 1997/98 war der obere Teil der Doppel-Kirche mit den weltberühmten Fresken des Malers Giotto schwer beschädigt worden.