Es ist noch gar nicht so lange her, da hatte Rupert Stadler, der Vorstandschef der Audi AG, mit einem Statement aufhorchen lassen: „Wir wollen bis 2020 die Premiummarke Nummer 1 werden.“ Diese markige Ansage fiel im Dezember 2012 und Audi strotzte zu diesem Zeitpunkt in der Tat vor Kraft: Das Geschäft lief für das Juwel im Volkswagen-Konzern blendend, Audi hatte Mercedes überholt und tauchte schon im Rückspiegel von BMW auf.
Inzwischen hat sich die Lage für den erfolgsverwöhnten Ingolstädter Autobauer geändert. Die Schlagzahl in der automotiven Champions League geben heute die zur Hochform auflaufenden Silberpfeile aus Stuttgart vor, und der jahrelange Dreikampf der deutschen Platzhirsche scheint sich aufs Duell Mercedes gegen BMW zu reduzieren.
Audi läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Das Problem ist, dass Audi zwar immer noch zulegt, aber in Sachen Wachstum die Kollegen aus Stuttgart und München mit einer deutlich höheren Drehzahl unterwegs sind. Was sich auch auf den Cashflow auswirkt: Lag vor zwei Jahren die Rendite noch bei mehr als elf Prozent, brach sie im ersten Halbjahr auf 7,3 Prozent ein. Eine Entwicklung, die jetzt in Ingolstadt die Alarmglocken läuten lässt. Schon wird in Deutschland eine Krise bei Audi herbeigeredet. Was ein Unfug ist, aber bloß von einem Luxusproblem lässt sich auch nicht reden.
Unwidersprochen bleibt, dass es einige offene Baustellen gibt. Die Macher von Audi müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, beim Design den Mut verloren zu haben und dabei zu sein, den Anspruch auf „Vorsprung durch Technik“ zu verlieren. Die Trendsetter sitzen derzeit nicht mehr in Ingolstadt, sondern in Kalifornien oder Asien.
Dazu gesellen sich Versäumnisse in der Modellpolitik. Es rächt sich, dass Audi in den volumensträchtigen Segmenten den Mitbewerbern erst kontern muss. Neue Modelle wie der A4, die sich optisch zu sehr am Vorgänger orientieren, erfüllen nicht die Verkaufserwartungen: Schon musste Audi die Produktion zurückfahren und eine Schicht streichen.
Massiv drückt zudem die Dieselkrise, die Ingolstadt erreicht hat und nicht nur finanziell zu schaffen macht. Zwei Entwicklungsvorstände - Ulrich Hackenberg und Stefan Knirsch - mussten im Zuge der Affäre gehen. Jetzt ist der technikgetriebene Hersteller auf der Suche nach einem neuen Cheftechniker: dem fünften in fünf Jahren. Viele sehen im Personalkarussell das Kernproblem. Die Mannschaft ist verunsichert. Auch Rupert Stadler hatte zu Dieselgate unangenehme Fragen zu beantworten. Der Audi-Boss, nicht wie seine Vorgänger Techniker, sondern Kaufmann, steht seit fast zehn Jahren an der Spitze des Autobauers. Als Vorstand der Privatstiftungen Piëchs und dessen ehemaliger Generalsekretär hat Stadler den Rückhalt des Kapitals.
Um Audi wieder auf Kurs zu bringen, stellt Stadler jetzt alles auf den Prüfstand. Und verordnet einen radikalen Sparkurs, weil auch in China, wo bislang fast ein Drittel des Volumens abgesetzt wurde, nicht mehr Milch und Honig fließen. Erste Konsequenz: Audi verschiebt den Bau eines neuen Entwicklungszentrums, zieht sich als Seriensieger aus Le Mans zurück und wird, um Kosten zu sparen, künftig mehr Synergien innerhalb des Konzerns nutzen. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Ausbau der SUV-Familie, dazu hat die Elektrifizierung oberste Priorität: Audi zieht vorerst einmal mit vier Stromern gegen Tesla & Co. zu Felde, 2018 soll ein großes SUV mit einer Reichweite von 600 Kilometern auf den Markt kommen.
Übrigens: In Österreich, einem traditionellen Quattro-Land, wird Audi heuer erstmals wieder seit 1994 als führende Premiummarke von BMW ausgebremst: Ein Bayer zieht dem anderen die Lederhose aus.
Gerhard Nöhrer