Michael Bartz - JA: Nach Corona bleibt eine erstaunliche Feststellung: Der Sprung ins Homeoffice hat hervorragend funktioniert. Mitarbeiterinnen und Führungskräfte sind mitgesprungen. Weil es alternativlos war – und für viele auch bleiben wird.
Nicht weniger erstaunlich ist jetzt der allgemeine Konsens, dass Homeoffice eine grundlegend positive Erfahrung mit Zukunftspotenzial war. An dieser Stelle müssen die Leistungen der Familien und noch mehr der Alleinerziehenden, die das Arbeiten zu Hause mit Kindererziehung, -betreuung und Homeschooling verbunden haben, gewürdigt werden. Sie haben Außerordentliches geleistet.
In der Klammer über alle Gruppen hinweg zeigen aktuelle Umfragen der Fachhochschule Krems und anderer Institute, dass 70 bis 80 Prozent der Personen, die das Homeoffice in der akuten Coronaphase genutzt haben, daran festhalten wollen. Natürlich nicht so intensiv wie in den letzten vier Monaten, aber jedenfalls in einer ausbalancierten Form.
Da die Erfahrungen und auch die zustimmenden Quoten für sich sprechen, haben Vorstände, Geschäftsführungen und Eigentümer heimischer Unternehmen längst begonnen, an Plänen zu arbeiten. Auch unser Forschungsteam, das ein Unternehmensnetzwerk für mobiles Arbeiten betreibt, spürt dies jeden Tag. Unsere ForscherInnen werden mit Unternehmensanfragen „überflutet“. Die entscheidende Frage, die uns immer wieder gestellt wird: In welchem Ausmaß sollen wir, und vor allem ab wann, mobiles Arbeiten zulassen?
Aufgrund von zehn Jahren kontinuierlicher Forschung in diesem Bereich kann diese Frage unternehmensindividuell beantwortet werden. Die spannende Erkenntnis: Aus der Zahl der Anfragen und ersten Studien können wir schließen, dass bis zu 60 Prozent der Unternehmen nachhaltig auf mobiles Arbeiten setzen werden.
Mit dem Land Niederösterreich als Pilot-Bundesland gehen wir in die Ausarbeitung flankierender Maßnahmen zur Förderung mobiler Arbeitsweisen. In einer Studie werden Potenziale mobiler Arbeitsweisen für Arbeitsmarkt, Wirtschaft und Verkehrsinfrastruktur untersucht. Und auf Bundesebene hat Arbeitsministerin Christine Aschbacher die Bildung einer Arbeitsgruppe zum Thema bekannt gegeben.
Ziel ist es, die notwendigen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Weiterentwicklung mobiler Arbeitsformen zu hinterfragen. So wird es gelingen, das Momentum, das Arbeitnehmer und Arbeitgeber dem Ausbau mobiler Arbeitsformen in Eigeninitiative gegeben haben, durch Maßnahmen zu verstärken.
Am Ende wird es ein nachhaltiger Sprung nach vorne sein, der zwei- bis dreimal so vielen ArbeitnehmerInnen den Zugang zu mobilen Arbeitsformen verschafft wie vor Corona.
Veronika Jakl-NEIN: Wenn die schnelle Kommunikation über die Distanz oft verloren geht, soziale Beziehungen am Arbeitsplatz leiden und die Vereinsamung zunimmt, dann kann Homeoffice nur bedingt die Zukunft der neuen Arbeitswelt sein.
Würden Sie wirklich gerne nur noch von zu Hause aus arbeiten? Viele haben diese Erfahrung in den letzten Monaten für eine begrenzte Zeit gehabt. Ein Experiment sozusagen. Aber bis zur Pension zu Hause arbeiten? Das kommt für die meisten nicht infrage – zu Recht! Die häufigsten Gründe, warum die meisten Angestellten wieder einige Tage pro Woche ins Büro wollen:
Die schnelle Kommunikation geht über die Distanz oft komplett verloren. Im Büro trifft man die KollegInnen zwischendurch in der Kaffeeküche oder am Gang. Man kann sich schnell am Platz der anderen Person zwei Minuten austauschen. Im Homeoffice werden solche Absprachen zu E-Mails mit Missverständnissen oder längeren Telefonaten.
Das informelle Tratschenwird oft auf ein Minimum reduziert. Man erfährt weniger private Details, weil die Gelegenheiten dazu fehlen. Dadurch leiden langfristig Betriebsklima und Vertrauen. Auch hat man es so schwerer, die Verfassung der KollegInnen zu spüren und gegenseitig auf sich zu achten.
Studien zeigen, dass die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz schlechter werden, wenn mehr als 2,5 Tage pro Woche im Homeoffice gearbeitet wird. Nicht von ungefähr warnen viele SuchtexpertInnen vor Alkohol im Homeoffice. Denn gerade bei Alleinstehenden fällt die soziale Kontrolle durch andere Personen weg. Hemmungen vor dem Mittagsbier fallen. Wenn dann nur selten Videokonferenzen stattfinden, fällt es wahrscheinlich niemandem auf.
Die freie Zeiteinteilung im Homeoffice führt häufig dazu, dass sich Arbeitszeiten verändern. Bei mehr als 50 Prozent Homeoffice pro Woche steigen auch die Erschöpfungserscheinungen. Oft fällt dann die Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit schwerer. Auch konnte gezeigt werden, dass mit steigendem Homeoffice die Konflikte mit der Familie zunehmen, vor allem wenn nachts oder am Wochenende gearbeitet wird. Und Alleinstehende? Die neigen zur Vereinsamung im ständigen Homeoffice.
Kommunikation auf Distanz ist häufig eindimensionaler. Webinare verkommen oft zu Frontalvorträgen ohne Interaktion. Und Telefonkonferenzen sind selten ein kreatives Brainstorming. Von Hindernissen wie schlechter Ergonomie, Unterbrechungen durch MitbewohnerInnen und fehlender Ausstattung ganz zu schweigen.
Deshalb das Homeoffice ganz verteufeln? Natürlich nicht. Die meisten Beschäftigten wollen in Zukunft eine „gesunde Mischung“ und die Wahl haben. Aber das bessere Büro ist Homeoffice definitiv nicht.