Gibt es eine Alternative zum Kompromiss, wenn zwei etwas Gemeinsames, aber nicht unbedingt das Gleiche wollen? Viele Paare stellen sich diese Frage erst gar nicht. Wenn sie links und er rechts sagt, wird geradeaus gebaut. Oder ein Stück links und eines rechts. Oder gar nicht. Mit dem Ergebnis, dass vielleicht keiner der beiden so recht glücklich wird.
„Dabei sind die unterschiedlichen Wünsche der einzelnen Bauherren der Humus für neue Ideen“, sagt Architekt Michael Lingenhöle. Für ihn ist der Kompromiss beim Bauen nicht das Ziel. „Ein Haus zu bauen heißt, eine Hülle zu schaffen, die für den Bewohner fast wie eine zweite Haut ist. Das Haus soll ihm entsprechen, das ist nicht durch Kompromisse zu erreichen.“
Lösungen für Bedürfnisse zu finden, die auf den ersten Blick nicht auf einen Nenner zu bringen sind, hält er für eine wichtige Aufgabe. „Dabei schafft man etwas Einzigartiges, das nur aus dieser Beziehung hervorgeht.“ Wenn Michael Lingenhöle für ein Paar plant, weiß er um die Gefahr, dass Kompromisse wie selbstverständlich Platz greifen. Um herauszufinden, was jeder will, hat er eigene Methoden entwickelt.
„Als er uns getrennt voneinander befragt hat, wusste ich, das ist der Richtige“, erklärt Omer Matthijs. Er ist Belgier und arbeitet mit seiner Frau Anja, ebenso Physiotherapeutin und gebürtige Berlinerin, in der gemeinsamen Praxis in Kapfenberg. Zusammen haben sie sich im urigen Weinitzen ein modernes Haus gebaut. Einen Bungalow aus Massivbeton, barrierefrei, ausgestattet mit Oberflächenkollektoren und versorgt durch Erdwärme. Formal: bestechend.
Alles in allem verkörpertdas Haus seine Bewohner, ist daher einmalig und nicht die x-te Variante der Handschrift eines Architekten. „Der Architekt fühlt sich ein und akzeptiert die Wünsche des Bauherrn“, erklärt Lingenhöle. Es geht ums Dienen, nicht um Selbstverwirklichung. „Ich schaffe ja ein Haus für jemand anderen, es geht dabei nicht um mich.“
Diese Haltung war es, die das Ehepaar Matthijs besonders beeindruckte. Ihr Haus ist für sie „perfekt“, auch wenn es von ganz charmanten Betrachtern auch schon als „Skibasisstation“ oder „eingetretene Schuhschachtel“ bezeichnet wurde. Die beiden erzählen das und lachen dabei herzlich.
Dabei braucht das Haus gar nicht lange, um auch Besucher von sich zu überzeugen. Es ist – bis in den pflanzenlosen Garten – vollkommen schnörkel-, aber nicht lieblos. Aufgeräumt, aber nicht steril. Ein Vorhang scheint weit und breit das einzig Weiche, dennoch regt sich die Lust, die Möbel oder Wände zu berühren oder auf dem Sichtbeton barfuß zu gehen. Es ist glatt poliert und dabei ganz sinnlich.
Was diese Qualität in dem Haus, das alles gängig Gemütliche verweigert, entstehen lässt? Neben der Schönheit der Formen, Proportionen und Materialien ist es z. B. die Beleuchtung. Am Boden und an den Fenstern sowie in der Decke sind LED-Lichter angebracht, die wie ein Sternenhimmel leuchten. Von der offenen Wohnküche aus hat man freien Blick bis zur Basilika von Mariatrost. Sinnlich ist auch die Lage: Auf der Koppel direkt vorm Fenster „schmatzen“ die Pferde und ein Misthaufen ist auch nicht fern. Nicht zuletzt ist es das Gefühl von Freiraum, das das 153 Quadratmeter große Haus gewährt, das die Sinne so empfänglich macht.
Für Anja hat das gesamte Haus etwas „typisch Nordeuropäisches“, das anders ist, als die Österreicher es mögen. Für sie strahlt es Ruhe aus und lässt sie, die viel unterwegs ist, schnell ankommen. Für Omer ist es eine „Höhle ums Licht“, die Räume so angeordnet, dass ungestörtes Arbeiten – auch nachts oder morgens – abseits der Schlaf- und Wohnräume möglich ist. Und das Haus holt das Boot an Bord. Als „alter Binnenschiffer“ (er stammt aus einer Schiffer-Familie) hat er sich etwas Schiffsatmosphäre für sein Heim gewünscht. Eine Seemannsdusche, die Sternenlichter, die Fensterluken setzen sie um. Und bald kommt vielleicht auch noch ein kleines Schiff als „Gartenklause“ hinzu.
"Ich liebe es, zu dienen"
Michael Lingenhöle über seine Rolle und Funktion als Architekt.
Roswitha Jauk