Zwischen Steinen und Erdbrocken liegen leere Plastiksäckchen auf dem Weg, nicht größer als Zündholzschachteln. Drogen werden darin transportiert. Es sind letzte Überreste einer längst vergangenen Zeit, als der idyllische Gemeinschaftsgarten im Nordosten des New Yorker Stadtteils Bronx noch eine Schrotthalde mit scheinbar nicht in den Griff zu bekommender Kriminalitätsrate war.

"Dutzende Autowracks haben wir hier weggeräumt", erzählt Stephen Ritz. "Anfang der 90er-Jahre war das hier ein Ort, an dem vor allem Drogenabhängige herumgehangen haben. Heute ist das nur noch ein ganz kleines Problem."

15.000 Kilogramm Gemüse geerntet

Ritz und seine Mitstreiter räumten das Gelände entlang einer Hochbahn auf, gruben den Boden um und pflanzten an. Aus der Bissel Street wurden die Bissel Gardens. "Wir haben diese öffentliche Straße einfach außer Betrieb gesetzt und uns das Wasser für unsere Gärten aus den Hydranten genommen", erzählt Ritz. "Das wäre heute gar nicht mehr möglich, aber damals hatte die Stadt New York andere Probleme und heute protestiert sie auch nicht mehr. 15.000 Kilogramm Gemüse haben wir auf dieser ehemaligen Schrotthalde schon geerntet. Das ist die neue Bronx."

Die Millionenmetropole New York ist sowieso schon viel grüner als ihr Ruf. Ein Fünftel des Stadtgebiets sei öffentliches Parkland, meldete jüngst die "New York Times" - in den ganzen USA habe nur die kalifornische Stadt San Diego mehr. Der Superstar unter den Grünflächen ist natürlich der berühmte Central Park mitten in Manhattan, aber es gibt dutzende weitere. Hinzu kommen Dachgärten mit teils spektakulärer Aussicht und zu Parks gewandelte ausrangierte Bahnstrecken.

Rückkehrwillen zur Natur

Viele New Yorker wie Stephen Ritz haben sich zum Ziel gesetzt, ihre Stadt noch grüner zu machen und in der Millionenmetropole Obst und Gemüse zu ernten. Sie betreiben "Urban Gardening", wörtlich etwa städtisches Gärtnern - aus einem von Hektik, Lärm und Alltagsstress genährten Rückkehrwillen zur Natur, aus Gesundheitsbewusstsein oder purer Notwendigkeit. Im Herbst ist in Downtown Manhattan eifrige Erntezeit.

Rund 600 Gemeinschaftsgärten gebe es inzwischen in den fünf Stadtteilen der Millionenmetropole, sagt Carolin Mees, Schulgärten nicht mitberechnet. Mees stammt aus der Nähe von Köln, lebt seit 1999 in New York und arbeitet bei Green Thumb NYC, einem städtischen Programm, das sich um die Gärten kümmert. Außerdem schreibt sie ihre Doktorarbeit über Gemeinschaftsgärten in der Bronx. Die Urban-Gardening-Bewegung habe Ende der 70er-Jahre angefangen, als die Ölkrise herrschte und die Innenstadt von New York in großen Teilen verlassen war, sagt Mees. Mit Unterstützung von Gruppen wie den "Green Guerillas" übernahmen zahlreiche Bewohner brachliegendes öffentliches Land.

"Damals wie heute ging es darum, dass es in der Stadt zu wenig Außenraum gab, um etwas anzubauen und sich zu treffen", sagt Mees. "Heute ist New York bei dem Thema ziemlich weit vorne." Nicht überall können Pflanzenzwiebeln einfach in den Boden gesteckt werden, denn der ist vielerorts verseucht, unter anderem von bleihaltiger Farbe. Hochbeete sind in einem solchen Fall der Ausweg.

Eigenes Gemüse ist chic

In der Millionenmetropole angebautes Obst und Gemüse zu essen gilt als chic. Viele Restaurants bauen vor der Tür an, was drinnen auf den Teller kommt. Das "Riverpark" am East River mit Blick auf das Hauptquartier der Vereinten Nationen beispielsweise hat auf einem Beton-Plateau einen Garten aus Plastik-Milchtragekästen gebaut. Darin wachsen Erdbeeren, Salat, Kräuter und alles, was der Koch sich noch so wünscht. Das Konzept komme wunderbar an, sagen die Betreiber.

Stephen Ritz aus der Bronx gärtnert nicht, weil es chic ist. Der schlaksige Mann, der sein Alter mit "in den 50ern" angibt, ist Lehrer. Seit Jahrzehnten arbeitet er im Süden der Bronx, dem ärmsten Kongressbezirk der gesamten USA. "Zum Aufwachsen ist das wirklich eine harte Gegend", sagt der Mann mit den kurzen braunen Haaren und spricht aus eigener Erfahrung. "HIV, Asthma und Diabetes sind weitverbreitet. Viele Menschen können weder lesen noch schreiben. Sechsköpfige Familien haben durchschnittlich nur ein Einkommen von weniger als 15.000 Dollar im Jahr."

Die raue Umgebung wirke sich auf die Lebensweise der Menschen aus. "Die meisten meiner Schüler wissen doch gar nicht mehr, wo ihr Essen herkommt. Sie wissen nicht, dass das Gemüse aus dem Boden kommt und Eier aus Hühnern." Auf ihrem Speiseplan stünden hauptsächlich Hamburger, paniertes Hendl und Pommes frites. "Die Folge: Mehr als die Hälfte meiner Schüler haben Asthma. Ich habe Fünftklässler, die mehr als 100 Kilogramm wiegen."

Lebensveränderndes Gardening

Er selbst sei früher auch übergewichtig gewesen, erzählt Ritz. "Vor zehn Jahren hatte ich auch noch nie eine Pflanze großgezogen." Aber dann veränderte eine Schachtel Blumenzwiebeln sein Leben. "Ich bekam sie als Geschenk und habe sie einfach in einem Klassenraum in den Kasten gestellt. Dort begannen sie dann zu blühen. Die Buben wollten den Mädchen die Blumen schenken, also haben wir sie eingepflanzt. Das war der Anfang von allem."

Mit Urban Gardening will Ritz nun die Lebenssituation der Menschen im Süden der Bronx und in ganz New York verbessern. Sein gemeinnütziger Verein Green Bronx Machine hat mehr als 40 Mitarbeiter, die meisten davon Schüler. Gemeinsam bepflanzen sie zum Beispiel Wände in Klassenzimmern mit Blumen, Gemüse und Obst oder legen Beete vor Schulen an - und das Konzept hat Erfolg.

"Das hier ist eine der gefährlichsten Gegenden in New York", sagt Luis Torres. Er ist Direktor einer Schule in der Bronx, ganz im Norden der Park Avenue, da, wo sie schon lange nicht mehr edel, teuer und chic ist. Vier große Komplexe sozialen Wohnungsbaus stehen rund um die Schule PS55. Viele der Fenster in den braunen Backsteinhäusern sind kaputt und mit Plastik oder Stoff verhangen.

Sicherer Ort für alle

In Holzkästen vor der Schule hat die Green Bronx Machine mehrere Beete angelegt. "Wir haben hier einen sicheren Ort geschaffen, wo auch die Eltern und Großeltern mitgärtnern können", sagt Torres. "Die Familien können hier etwas anbauen und die Erzeugnisse dann mit nach Hause nehmen. Das ist oft das einzige Frische und Grüne, was sie essen."

Torres' Kollege Marc Donald, der eine Art Auffangeinrichtung für Schulabbrecher ebenfalls in der Bronx leitet, hat ähnliches vor. "Vor drei Monaten war für meine Schüler Salat noch Salat. Seitdem wir Beete haben, sehen sie da Unterschiede." Früher sei er überhaupt nicht gerne in die Schule gegangen, sagt John, ein Teenager mit eng an den Kopf geflochtenen Haaren. "Aber das Gärtnern macht mir jetzt richtig viel Spaß. Alles riecht und schmeckt so großartig. Und meine Eltern sind total aufgeregt und stolz."