Halten Sie, so wie viele Ihrer Kollegen, die Wiederholung eine großen Crashs wie 1929 für unwahrscheinlich?
MARTIN KOCHER: Auf diese Art und Weise: ja. Nicht, weil kein Crash mehr passieren kann, sondern weil Mechanismen zur Überwachung und Reaktion auf den Finanzmärkten viel besser wurden.

Welche Mechanismen schützen uns heute?
Die Börsenaufsicht kann den Handel unterbrechen. Es gibt Sicherheiten, die unterbinden, dass man sich so leicht einen Kredit beschaffen kann um Aktien zu kaufen. Auch die Notenbanken reagierten 2008/2009 völlig konträr zu 1929: Die US-Notenbank hat damals die Geldmenge eingeschränkt, wohingegen EZB und Fed nach der Lehman Brothers-Pleite eine sehr expansive Geldpolitik betrieben haben.

Aber Parallelen sind doch da: Handelskriege und Zölle, die Brandbeschleuniger der Weltwirtschaftskrise, sind zurück.
Das ist tatsächlich gefährlich, weil wir gesehen haben, dass Protektionismus und Abschottung die Krise 1929 verstärkt haben. Jetzt verhält sich die USA wieder protektionistisch – zu einer Zeit, in der es sehr gutes Wachstum gab. Das ist genau das Falsche, weil es Krisen verstärkt und man sich so gegenseitig das Wasser abgräbt. Das ist bedauerlich, aber vielleicht nur eine Modeerscheinung.

Martin Kocher
Martin Kocher © Weichselbraun

Die Welt war in den 1920er-Jahren in bester Feierlaune – vergleichbar mit dem jahrelangen Wirtschaftswachstum in diesem Jahrzehnt?
Nein, aber man kann es mit den 2000er Jahren vergleichen – damals war von „unendlichem Wachstum“ und einem „Ende der Konjunkturzyklen“ die Rede, selbst in Fachkreisen. Dann kam 2008. In gewisser Weise waren die 2000er-Jahre mit den Jahren vor der großen Depression vergleichbar, die letzten Jahre jedoch nicht. Die Finanzkrise vor zehn Jahren bleibt sicher noch lange im kollektiven Gedächtnis.

Einen Börsenabsturz kann man keineswegs ausschließen?
Einen starken Preisverfall wird es immer wieder geben. Das ist natürlich in Finanzmärkten.

Das Wirtschaftswachstum ist schwach, droht ein solcher Crash mit heftigem Kursverfall?
Es kann stärkere Korrekturen in kürzerer Zeit geben. Letztlich ist ein Crash ein kollektives psychologisches Phänomen, oft ausgelöst durch nicht-ökonomische Ereignisse wie den Ausbruch eines Krieges.

Hat die EZB Pulver ihr Pulver im Krisenfall bereits verschossen?
Die Frage ist, ob ein Crash auf reale Märkte überschwappt. Die EZB hätte zwar noch gewisse Möglichkeiten, aber nicht so starke wie 2009. Dann müssten die Staaten mit fiskalpolitischen Maßnahmen einspringen, also Ausgaben erhöhen.

Gottfried Haber
Gottfried Haber © APA/HELMUT FOHRINGER