Das IHS wertet die Ablehnung des Brexit-Deals als Rückschritt. "Das absurde an der aktuellen Situation ist, dass die britische Regierung trotz der Abstimmungsniederlage zum Brexit-Deal wahrscheinlich die Vertrauensabstimmung heute überstehen wird. Damit ist man keinen Schritt weiter, sondern eher zwei Schritte im Austrittsprozess zurückgegangen", kritisiert IHS-Chef Martin Kocher auf APA-Anfrage.
Für die Wirtschaft sei die Ablehnung des Brexit-Deals zwischen britischer Regierung und EU nicht überraschend gekommen, daher seien die direkten Auswirkungen auf den Pfund-Kurs und andere wirtschaftliche Indikatoren vorerst begrenzt. Aber "jeder Tag der Unsicherheit verursacht sowohl der britischen als auch der resteuropäischen Wirtschaft weiter steigende Kosten" - ganz zu schweigen von praktischen und menschlichen Problemen, sagte der Chef des Instituts für Höhere Studien.
Sollte es am Ende zum "harten Brexit", also einem Ausscheiden Großbritanniens ohne Austrittsvertrag kommen, hätte das für die österreichische Wirtschaft "erhebliche Konsequenzen, die sich vor allem auf das langfristige Wachstum negativ auswirken würden. Aber auch kurzfristig würde man einen harten Brexit an einer Verringerung der österreichischen BIP-Wachstumsrate von geschätzten 0.1 bis 0.3 Prozentpunkten makroökonomisch wahrnehmen."
Blindflug
"Für die Wirtschaft geht der Blindflug weiter", sagt der RBI-Chefanalyst Peter Brezinschek in Reaktion auf die gestrige Brexit-Abstimmung im britischen Parlament. In Wahrheit sei es völlig offen, was nun geschehen wird. Erstaunlich sei, wie ruhig die Finanzmärkte reagiert haben. Wirklich bedrohlich sei die Lage für die Wertschöpfungsketten, da könne es mit April zu Einbrüchen kommen.
Die Finanzmärkte haben die Ablehnung offenbar schon erwartet und sind außerdem derzeit noch mit den Jahresergebnissen beschäftigt. Erst ab Mitte Februar erwartet Brezinschek wieder größere Unruhe. Die Industrie hingegen stelle sich schon auf einen Austritt Großbritanniens ohne Deal ein und beginne Produktion zu verlagern und bei den Lieferketten das Vereinigte Königreich auszusparen. Das werde die britische Wirtschaft, aber auch die Unternehmen in der ganzen EU treffen. Bei einem harten Brexit ohne Abkommen gibt es nur Verlierer, erinnern die Analysten von Raiffeisen Research.
Wienerberger im Minus
Österreichische Aktien mit wirtschaftlicher Abhängigkeit zu Großbritannien haben am Mittwoch am Vormittag zunächst verhältnismäßig gelassen auf die Ablehnung des Bexit-Abkommens reagiert. Heimische Marktteilnehmer hat der Ausgang der Abstimmung auf Dienstagabend nicht überrascht. Der zwischen Großbritanniens Premierministerin Theresa May und der EU ausgehandelte Deal wurde vom britischen Parlament am Dienstagabend klar abgelehnt.
Allerdings dürfte die anhaltende Unsicherheit um Brexit die Werte von Wienerberger belastet haben. Sie fielen um 1,18 Prozent auf 19,18 Euro. Schon die Tage vor der Brexit-Deal-Abstimmung hatten die Aktien des Ziegelkonzern Schwankungen hinnehmen müssen. Wienerberger produziert einen Großteil seiner Produkte in England.
Vorbereitungen treffen
Der Präsident der deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Eric Schweitzer, hat Unternehmen aufgefordert, sich auf einen ungeregelten Brexit vorzubereiten. "Ohne Abkommen droht der Brexit völlig ungeregelt abzulaufen", warnte Schweitzer am Dienstag nach der Ablehnung der Brexit-Vereinbarung durch das britische Unterhaus. Die Unternehmen hätten keine Planungssicherheit.
"Zusätzlich würden jährlich Millionen von Zollanmeldungen und Milliarden Euro an Zöllen fällig. Aus den Brexit-Negativszenarien würde dann leider bittere Realität." Der DIHK-Präsident riet den Unternehmen, sich jetzt verstärkt vorzubereiten. "Denn für die deutschen Unternehmen steht einiges auf dem Spiel. Immerhin ist Großbritannien noch unser fünftwichtigster Handelspartner, das Handelsvolumen beträgt 122 Milliarden Euro."
UBS warnt vor Investitionen
Die Schweizer Bank UBS geht noch weiter und rät nach der Ablehnung des Brexit-Deals durch das Unterhaus sogar von Investitionen in dem Land ab. Anleger sollten ihr Engagement im Vereinigten Königreich begrenzen, da an den Finanzmärkten wegen der politischen Unsicherheiten die Turbulenzen anhalten können, teilte die Schweizer Bank am Dienstag mit.
Die Volatilität werde so lange nicht verschwinden, bis der Austrittsprozess konkret werde. Premierministerin Theresa May verlor zuvor die Abstimmung über ihr Brexit-Abkommen in Parlament deutlich. Wenige Wochen vor dem Austritt aus der Europäischen Union am 29. März steckt Großbritannien damit in der schwersten politischen Krise seit einem halben Jahrhundert.
Tür steht offen
Der deutsche Außenhandelsverband BGA hat mit Bedauern auf die Ablehnung des Brexit-Abkommens im britischen Parlament am Dienstagabend reagiert. Das Votum des Unterhauses in London sei "wider alle Vernunft", erklärte BGA-Präsident Holger Bingmann. Bis zuletzt habe die EU "Brücken gebaut, über die das Vereinigte Königreich leider nicht gegangen ist".
Es müsse nun die Aufgabe der Europäischen Union sein, deutlich zu machen, dass den Briten unter den Bedingungen des gemeinsamen Binnenmarktes die Tür zur EU auch künftig jederzeit offen stehe. Die Politik müsse alles daransetzen, "dass dieses verhängnisvolle Votum der Anfang vom Ende des Brexits ist."
"Gordischer Brexit-Knoten weiter ungelöst"
"Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit werden wir nun am 29. März einen harten, unkontrollierten Brexit erleben - ohne Übergangsregeln und ohne Handelsabkommen", warnte Bingmann. Für die Bürger und die Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals bedeute die Ablehnung des Deals von Premierministerin Theresa May den Eintritt des "denkbar schlechtesten Szenarios".
Dennoch: Eine Verlängerung der Brexit-Gespräche zwischen London und der EU lehnt DIHK-Chef Schweitzer ab: "Eine kurze Verschiebung des EU-Austritts von Großbritannien um einige Wochen, über die derzeit teilweise spekuliert wird, würde die Unklarheit wohl nur aufschieben. Letztendlich bliebe der gordische Brexit-Knoten weiter ungelöst."
Ifo-Präsident Clemens Fuest forderte dagegen Großbritannien und die EU auf, die Verhandlungen zu einem Brexit-Abkommen wieder aufzunehmen. "Ein harter Brexit mit seinen riesigen Kosten muss vermieden werden", sagte Fuest nach der Ablehnung des Brexit-Abkommens durch das britische Parlament am Dienstagabend. Beide Seiten sollten nun an den Verhandlungstisch zurückkehren und das Abkommen so anpassen, dass es für beide Seiten akzeptabel ist. "Alles andere wäre ein nicht akzeptables Politikversagen."
Der Ökomom Gabriel Felbermayr bezeichnete die Ablehnung des Brexit-Deals durch das Unterhauses als verständlich. "Das Nein der britischen Abgeordneten zum Trennungsabkommen ist absolut nachvollziehbar, weil es das Vereinigte Königreich auf den Status einer Handelskolonie herabstufen würde".
"Warnung vor Schockstarre"
Der Bundesverband deutscher Banken hat nach dem Brexit-Votum in Großbritannien vor einer "Schockstarre" gewarnt. "Die Briten müssen jetzt klären, ob sie politisch noch handlungsfähig sind", erklärte der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, Andreas Krautscheid, am Dienstag. "Wir wissen weiterhin nur, was die Mehrheit nicht will: Es braucht aber endlich Mehrheiten, um einen fatalen harten Brexit zu verhindern."
Das britische Parlament lehnte das mit der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen zuvor mit deutlicher Mehrheit ab: 432 Abgeordnete stimmten am Dienstagabend gegen den Austrittsvertrag, 202 votierten dafür. Premierministerin Theresa May hatte kurz zuvor in einer Rede im Unterhaus noch einmal für das Abkommen geworben.
Das britische Parlament lehnte das mit der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen zuvor mit deutlicher Mehrheit ab: 432 Abgeordnete stimmten am Dienstagabend gegen den Austrittsvertrag, 202 votierten dafür. Premierministerin Theresa May hatte kurz zuvor in einer Rede im Unterhaus noch einmal für das Abkommen geworben.