Es gab im österreichischen Bankensektor in jüngerer Vergangenheit zahlreiche Fusionen, Filialschließungen und auch Mitarbeiterabbau. Wird es in diesem Tempo weitergehen?
EWALD NOWOTNY: Ich glaube, dass es sich noch beschleunigen wird. Wenn man sich etwa die Zahl der Einwohner je Bankstelle ansieht, so sind wir in Österreich noch immer bei einer deutlich geringeren Größe als in den Niederlanden oder in Frankreich. Wobei man sehen muss, dass dieses Kleinteilige auch einige Vorteile hat – etwa, was Kundennähe betrifft. Die Frage ist nun, ob es gelingt, Methoden zu entwickeln, wo ich den Vorteil der Kundennähe verbinden kann mit den zentralistischen Erfordernissen, die sich von der Technologie und der Aufsicht her ergeben.
Gibt es noch zu viele Banken in Österreich?
NOWOTNY: Man wird sich auch die Organisationsstruktur ansehen müssen. Es gibt ja bereits genossenschaftliche Ansätze, aber meines Erachtens wird es in diesem Bereich zu einer deutlichen Zentralisierung kommen. Die zwei Themen für österreichische Banken sind Kapitalaufbau und Kostendisziplin.
Wie stabil sind die heimischen Banken mittlerweile?
NOWOTNY: Erst in der Vorwoche hatte ich einen Termin bei Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und habe ihr mitgeteilt: Diesmal kann ich Ihnen sagen, dass es keine österreichische Bank mit Problemen gibt. Wir sind in einer deutlich besseren Phase, auch wirtschaftlich läuft es gut. In der Außensicht hat es dem Bankenstandort enorm genutzt, dass rund um die Heta, die Abbaubank der früheren Hypo Alpe Adria, eine Lösung gefunden wurde. Das ist wie eine dunkle Wolke über uns geschwebt. In Zentral- und Südosteuropa gibt es auch eine deutlich bessere Perspektive, von der Österreich profitiert.
Wo gibt es noch Problemzonen?
NOWOTNY: Es gibt gewisse Risiken. Besonders beschäftigt mich, dass es in manchen Staaten einen zunehmenden ökonomischen Nationalismus gibt, der sich speziell gegen Banken richtet. Ich war erst vor wenigen Tagen diesbezüglich in Kroatien.
Worum ging es da konkret?
NOWOTNY: Es geht um Gesetze, die sich gegen Kredite richten, die von österreichischen Banken direkt vergeben wurden. Diese Diskussion ist mühsam, wir hatten sie in ähnlicher Form bereits in Ungarn, wo es gelöst wurde, wenn auch mit erheblichen Kosten für die österreichischen Banken. Das ist ein Unsicherheitselement. Zum Teil sind es Fehler der Vergangenheit, etwa wenn es um die massive Vergabe von Frankenkrediten ging, wir haben das schon vor sieben Jahren, gemeinsam mit der Finanzmarktaufsicht, massiv eingeschränkt. Damals auch gegen den Widerstand der Banken, inzwischen sind sie uns dafür dankbar. Das heißt aber nicht, dass sich die Banken aus der Region Zentral- und Südosteuropa zurückziehen sollen. Es ist vernünftig zu bleiben, aber bei der Kreditvergabe und der Dynamik ist Vorsicht geboten. Die Goldgräberzeiten sind vorbei, aber man kann ein gutes, gewissermaßen normales Geschäft in diesen Ländern betreiben.
In Kroatien gibt es für österreichische Banken ja zwei Themen: Zum einen die verordnete Zwangskonvertierung von Fremdwährungskrediten, ein gerichtsanhängiges Thema, das sogar vor einem Schiedsgericht landen könnte. Außerdem gibt es den Streit um Direktkredite, die auch von kleineren steirischen Raiffeisenbanken in Kroatien vergeben wurden. Was droht in diesem Zusammenhang?
NOWOTNY: Hier gibt es schon entsprechende Gesetzesvorschläge, daher bin ich extra nach Kroatien gefahren. Auch als Warnung, dass es hier nicht zu Lösungen kommt, die dann auf internationaler rechtlicher Ebene sicher nicht halten. Jeder von uns wird einsehen, dass man dort, wo es wirklich zu sozialen Härten kommt, entsprechende Lösungen finden muss. Aber dann muss man das halt individuell lösen und nicht alles per Gesetz über einen Kamm scheren.
Sollten die Realität werden, was würde das für unsere Banken bedeuten?
NOWOTNY: Es ist keineswegs existenzbedrohend. Aber es kann für einzelne Bereiche schon Einschnitte nach sich ziehen. Es bedeutet auch, dass sich einige Banken dann die Frage stellen müssen, ob sie diese Geschäfte dann noch machen. Zum Beispiel, ob es dann noch die Bereitschaft gibt, noch in die Immobilienfinanzierung hineinzugehen. Es kann also sein, dass Banken sich zurückziehen. Das habe ich dort auch den Behörden gesagt, denn durch so ein Gesetz kann die Kreditversorgung in so einem Land schon leiden.
Was müssen Banken insgesamt tun, um krisensicher zu sein?
NOWOTNY: Die erste Regel ist: Sie brauchen ausreichend Kapital. Seit der Krise 2007 haben die österreichischen Banken ihre Kapitalquote quasi verdoppelt. Von rund 7 Prozent auf durchschnittlich 14,8 Prozent per Jahresende 2016. Um das zu erreichen, braucht man eine entsprechende Profitabilität. Und das ist ein Punkt, wo die österreichischen Banken sicher noch ein Problem haben. Das heißt konkret, es besteht ein weiterer Rationalisierungsdruck, der sich sicher auch in der Zahl der Beschäftigten auswirken wird.
Eine neue Herausforderung ist aus einem aktuellen OGH-Urteil entwachsen, wonach Banken negative Referenzzinssätze an Kreditnehmer weitergeben müssen.
NOWOTNY: Es gibt jetzt einmal die ersten Urteile, man muss aber sagen, dass diese zum Teil sehr unterschiedliche Fälle betreffen. Rechtliche Klarheit ist noch nicht gegeben. Ich persönlich finde es bedauerlich, weil es doch eine gewisse Asymmetrie darstellt. Bei den Spareinlagen gibt es eine faktische Festlegung, dass man nicht in den negativen Bereich hineingeht. Auf der Seite der Kredite gibt es aber die Situation der Berücksichtigung negativer Euribor-Werte. Das ist aus meiner Sicht problematisch.
Mit welchen Folgen?
NOWOTNY: Wenn es zur Situation käme, dass es klare Zahlungsverpflichtungen gibt, dann hätte das direkte Auswirkungen auf die Gewinn-und-Verlust-Rechnung oder es müssten Rückstellungen gebildet werden. Beides würde sich auf den Gewinn der Institute auswirken, wenn auch nicht in bedrohlicher Weise.
Wie hoch wären die Kosten insgesamt?
NOWOTNY: Das weiß noch niemand genau, weil ja auch die Banken selbst noch keinen exakten Überblick haben können. Wir haben seitens der Nationalbank von einem bis zu mittleren dreistelligen Millionenbetrag gesprochen. Das ist substanziell. Zum Teil wurden von Banken aber schon Rückstellungen dafür gebildet.
Seitens der Nationalbank war zuletzt von einem „bilderbuchhaften Aufschwung“ in Österreich die Rede. Wie geht es mit der Konjunktur weiter?
NOWOTNY: Beim Wachstum erwarte ich, dass Österreich heuer über jenem von Deutschland liegen wird und auch über dem Euro-Raum. Besonders positiv ist, dass die Konjunktur nicht mehr nur, wie noch im Vorjahr, von der privaten Nachfrage getrieben ist. 2017 sehen wir, dass auch gestiegene Exporte und steigende Investitionen für Impulse sorgen.
Japan hat Bitcoin als Zahlungsmittel eingeführt, Sie warnen besonders intensiv vor Kryptowährungen. Warum?
NOWOTNY: Bitcoin ist keine Währung, Bitcoin hat nichts, was eine gute Währung auszeichnet, nämlich in erster Linie Stabilität. Bitcoin ist ein Spekulationsobjekt. Wir verbieten es als Notenbank nicht. Man muss die Leute aber wissen lassen, auf was sie sich da einlassen. Es hat halt in der Vergangenheit immer wieder Fälle gegeben, wo solche Dinge dann geplatzt sind. Und das kann dann negative psychologische Auswirkungen haben. Das ist die Gefahr, die wir sehen – aber ich würde sie auch nicht überschätzen.
Zwei Regionalbanken wurden jüngst von Italien aufgefangen, also wieder mit Steuergeld gerettet. Ist die Ära des Steuerzahlers als pragmatisierter Bankenretter doch noch nicht vorbei, so wie es in letzter Zeit immer wieder aus Brüssel hieß?
NOWOTNY: Aus der Sicht der Kommission ist die italienische Vorgangsweise im rechtlichen Rahmen gewesen – ich sehe das auch so. In der Sache selber war es vielleicht zu euphorisch, im Vorhinein zu sagen, dass es in allen Fällen keine staatliche Intervention mehr gibt. Das ist nämlich für die sehr großen Banken gedacht. Und da ist der Hintergrund jener, dass in den meisten Staaten dieses Problem der großen Banken durch die Bildung von Bad Banks schon abgefangen wurde. Deutschland hat riesige Bad Banks. England, Niederlande, Belgien, Luxemburg – nur die Italiener haben das eben nicht gemacht. Deswegen haben sie notleidende Kredite noch in diesem Ausmaß in den Bankbilanzen. Anderswo wurden Banken sogar aufgelöst. Die ehemals riesige Westdeutsche Landesbank gibt es beispielsweise nicht mehr.
Welche Rolle kann der Abwicklungsfonds der EU-Kommission einnehmen?
NOWOTNY: Der Fonds ist zurzeit sicher nicht groß genug, um massive Fälle zu bearbeiten. Es ist wahrscheinlich auch wenig sinnvoll, massive Geldreserven aufzubauen. Eher wird gedacht, als Schutzschirm für diesen Abwicklungsfonds den ESM zu verwenden. Also den Europäischen Stabilitätsmechanismus, der sich selber wieder auf den Kapitalmärkten refinanzieren kann. Wenn ich einen stärkeren Abwicklungsfonds habe, kann ich aus Brüssel auch wieder stärker eingreifen.
Sie haben einmal gesagt, dass „Vorwahlzeiten immer auch gefährliche Zeiten für das Budget“ sind. Sehen Sie in der jüngeren Vergangenheit Indikatoren für aufkeimende Gefahr?
NOWOTNY: Wir hatten ja schon Vorwahlzeiten, in denen Ausgabenprogramme beschlossen wurden, die im Nachhinein zu erheblichen Belastungen geführt haben oder durch ein Belastungspaket später gar wieder aufgefangen werden mussten. Aber bis jetzt – wenn ich das mit früheren abrupten Enden von Legislaturperioden vergleiche – sehen wir noch keine dramatischen Fehlentwicklungen.