BMW will sich mit Platz 2 hinter Daimler in der Oberklasse nicht zufriedengeben und bald wieder die kürzlich verlorene Führungsrolle einnehmen. "Wir schalten jetzt auf Angriff", sagte Vorstandschef Harald Krüger am Dienstag im München. "Wir starten die größte Modelloffensive unserer Geschichte."
2017 und 2018 sollen mehr als 40 neue und überarbeitete Modelle der drei Marken BMW, Mini und Rolls-Royce auf den Markt kommen. Konzernweit bleibe sein Haus der führende Hersteller im Premiumsegment, betonte Krüger. Die Kernmarke BMW, seit 2005 Nummer 1 in der Oberklasse, war 2016 von Mercedes überholt worden. Die Schwaben lagen nicht nur beim Absatz, sondern auch bei der Rendite vorn. Dafür erntete Krüger - trotz Rekordzahlen - auch intern Kritik.
"Wir waren immer ein ehrgeiziges Unternehmen", sagte der BMW-Chef. "Ich verspreche Ihnen, das wird so bleiben." Der Absatz sei aber nur einer von mehreren Leistungsindikatoren. "Das sind neben Verkaufszahlen auch Profitabilität, Innovationskraft, Flexibilität und unsere Attraktivität als Arbeitgeber." Für 2017 kündigte er leichte Zuwächse bei den Auslieferungen, beim Umsatz und beim Konzernergebnis vor Steuern (EBT) an. Um den Wandel hin zur elektrischen, vernetzten und automatisierten Mobilität finanzieren zu können, will BMW bis 2020 deutlich mehr große Modelle wie 7er oder X7 verkaufen - da bleibt mehr Geld hängen.
BMW-Chef Harald Krüger könnte eigentlich zufrieden sein. Zum siebten Mal in Folge hat der Autokonzern Absatz und Gewinn gesteigert, und das soll auch im laufenden Jahr so weitergehen. Aber Krüger ärgert sich. Denn Mercedes hat im vergangenen Jahr 80.000 Autos mehr verkauft als BMW und die Münchner damit als Nummer eins in der Oberklasse abgelöst.
Das mag wie ein kleiner Kratzer im Lack der BMW-Strategie "Number One" erscheinen - aber: Der Spitzenreiter zieht zusätzliche Kunden an und darf auch etwas teurer sein. Oliver Heil, Professor für Marketing an der Universität Mainz, vergleicht das mit dem Fußball: "Es gibt treue St. Pauli-Fans, und es gibt Sieger-Fans. Barcelona ist Spitze, ich bin Barca-Fan, ich bin auch ein Siegertyp." Marktführer zu sein bedeute zusätzliche Verkäufe und ermögliche höhere Preise. Das gelte nicht nur für teure Autos: "Die Uhr, die die Erfolgreichsten tragen, darf ruhig ein bisschen mehr kosten." Und auch als Arbeitgeber ist ein führendes Unternehmen für die Besten eine Top-Adresse.
"Erfolg macht sexy", sagt Frank Biller, Auto-Analyst der Landesban Baden-Württemberg, und verweist auf den Werbeslogan von Mercedes: "Das Beste oder nichts." Mehr Autos zu verkaufen bringt auch Kostenvorteile: Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung, für Fabriken und Verwaltung verteilen sich auf mehr Autos, und beim Einkauf gibt der Zulieferer Mengenrabatt.
Den monatlichen Vergleich der Absatzzahlen gibt es einzig und allein in der Autoindustrie. Professor Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen nennt zwei Gründe: "Sie ist sehr transparent, die amtlichen Zulassungszahlen sind öffentlich", sagt er. Außerdem interessieren Autos die Menschen mehr als die Verkaufszahlen von Kühlschränken oder Windeln."Das Rennen um Platz eins kann hier so spannend sein wie die Bundesliga-Tabelle. Es zeigt schnell, wer stärker und wer schwächer wird."
Angefangen hat der Größenvergleich in den 1950er-Jahren in den USA. General Motors warb mit Blick auf die Konkurrenten Ford und Chrysler mit dem Spruch "We are the greatest". Das war GM auch, bis 2008, als Toyota sie überholte. Ein Jahr später war GM insolvent. "Pure Größe sagt gar nichts. Der Größte beim Absatz zu sein, das kann auch ein Pyrrhus-Sieg sein", sagt Dudenhöffer. "Rendite ohne Größe ist Nische. Größe ohne Rendite ist Schwachsinn."
Mercedes hat heute sowohl beim Absatz als auch bei der Gewinnmarge die Nase vor BMW; Audi folgt inzwischen mit einigem Abstand. Jahrzehntelang hatten die Schwaben in der Oberklasse den Ton angegeben - 2005 war dann BMW vorbeigezogen, 2011 wurden sie auch noch von Audi überholt. Aber mit neuem Design, neuen Modellen und neuem Vertriebsnetz in China holte Daimler-Chef Dieter Zetsche die Krone jetzt zurück. "Mercedes steht an der Spitze des Premiumsegments", sagte er stolz: "Number one."
BMW-Aufsichtsratschef Reithofer hat seinen Managern deshalb die Leviten gelesen: Sie sollten sich gar nicht erst ans Verlieren gewöhnen. "Wir müssen als BMW die Nummer eins sein", zitierte ihn die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Krüger, seit knapp zwei Jahren Nachfolger Reithofers als Vorstandschef, muss nun angreifen.
Im Rennen um die Krone in der Oberklasse holen Jaguar-Land Rover und Volvo auf - und die Tesla-Elektroautos mit Autopilot mischen die ganze Branche kräftig auf. Neue Technologien, die Vernetzung, Shared Mobility und andere neue Dienstleistungen und Geschäftsmodelle ändern die Spielregeln grundlegend. "Wer hat die meisten Kunden? Das ist vielleicht bald interessanter als die Zahl der verkauften Autos", sagt Biller. Der Titel des Absatzkönigs verliert an Bedeutung. "In Zukunft gewinnen wird, wer die Kunden besser versteht, wer ihnen mehr Spaß, Emotionen, Komfort bieten kann, sagt Dudenhöffer. "Wer nur an Stahl und Reifen denkt, dem wird es gehen wie Nokia mit seinen Handys."
Gerade die globale Spitzenposition von Mercedes, BMW und Audi könnte zum Nachteil werden, befürchtet Heil: "Wer das heutige Spiel am perfektesten und erfolgreichsten beherrscht , tut sich schwer, wenn alles anders wird", sagt der Wirtschaftsprofessor. "IBM hat die besten Schreibmaschinen gemacht, Kodak die besten Filme, Nokia die besten Handys. Wo sind sie heute?"