Dürfen wir 2017 mit völlig unerwarteten technologischen Neuerungen – so fundamental wie das Smartphone – rechnen?
Achim Kaspar: Nein. Wir stehen trotzdem vor dramatischen Veränderungen. Vor zwei Jahren war das Wort Digitalisierung relativ exotisch. Das Netz ist zum Hauptproduktivitätsfaktor in jedem Industriezweig geworden. Die junge Generation kann sich ein Leben ohne ein WLAN nicht mehr vorstellen.
Wie weit kommen wir 2017 in Richtung 5G-Netz voran?
Kaspar: Von 2005 an bis zum Jahr 2020 verfünfundneunzigfacht sich der Datenverkehr im Internet. Ein 5G-Netz würde mehr desselben sein. Etwas anderes ist, was damit gemacht wird. Alles, was digitalisiert werden kann, wird irgendwann digitalisert werden. Vom assistierten Fahren über "smart metering" bis Industrie 4.0 rollen mit der Datenexplosion gewaltige Innovationen auf uns zu.
Statt mit Giga- und Terabyte wird man mit Exabyte, also in Trillionen rechnen. Sind Betriebe und Haushalte tauglich gerüstet mit, wie Cisco es nennt, "digital ready networks"?
Kaspar: Da hat Österreich objektiv Nachholbedarf. Im Networked Readyness Index des Weltwirtschaftsforums liegen wir weltweit auf Platz 20 und in Europa nicht einmal unter den Top 10.
Die Breitbandoffensive reicht, um aufzuschließen?
Kaspar: Die ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, reicht aber lange nicht aus für "digital ready networks". Viele alte Netzwerke entsprechen nicht mehr den neuesten Sicherheits-Richtlinien. Hier muss einiges getan werden, das fängt bei den Unternehmen an, die im globalen Wettbewerb stehen.
Bei Industrie 4.0 optimieren sich Datenprozesse in Richtung eines "deep learning" an sich selbst. Was ist Stand und Potenzial der Industrie in Österreich?
Kaspar: Sie wird oft unterschätzt, dabei gibt es viele verborgene Champions mit hoher Achtsamkeit für Innovationstreiber. Eines der Hauptbedrohungsszenarien, das oft außer Acht gelassen wird, ist das Thema Cyber-Security. Laut unserer Umfrage fühlen sich zwei Drittel aller Firmenchefs relativ sicher. Das ist eine trügerische Sicherheit.
Welche Angriffsszenarien erleben Sie bei Ihren Kunden?
Kaspar: Ein großer Partner von uns erklärte öffentlich, dass er bis zu 5000 Hacker-Attacken pro Tag erlebt. Das passiert so bei größeren Industriekunden. Sehr bedrohlich ist, dass die Ausgeklügeltheit der Angriffe massiv zunimmt. Dazu gehört sogenannte Ransomware, wo quasi ein Datenschlüssel ins Netz geschickt wird und die Daten sperrt. Nur gegen Zahlung von – ich sage einmal – Lösegeld bekommt man den Entsperrungs-code und auch das ist nicht immer zu hundert Prozent sicher. Das sind Bedrohungsszenarien, die für Unternehmen existenzbedrohend sind. Ein Investment in Sicherheit ist kein "nice to have", sondern essenzieller Bestandteil einer Unternehmensstrategie.
Kommen wir zum Konsumenten. Ein privater Nutzer kann alles der "Cloud" anvertrauen?
Kaspar: Also ich glaube, ja. Ob die Daten in der "Cloud" liegen oder auf dem Gerät – wenn jemand diese Daten missbrauchen will, gibt es überall Schwachstellen.
Was werden wir mit den Smartphones bis Jahresende anders können als bisher?
Kaspar: Wir leben in einer Welt der Plattformen und diese greifen in immer mehr Bereiche unseres Lebens ein. Meine Generation lernt da jeden Tag dazu, etwa bei den neuen vernetzen Autos, wo Sie Ihre Applikationen fürs Auto am Handy haben, es übers Handy zusperren und die Standheizung aktivieren können. Meine Kinder, die damit aufwachsen, leben das schon in einer ganz anderen Form und für die ist das völlig natürlich solche Dinge zu machen.
Welche Weiterentwicklung ist bei Drohnen zu erwarten?
Kaspar: Amazon hat sich gerade ein Patent schützen lassen für die Zustellung mit Drohnen. Aber vorerst sind rechtliche Grundsatzfragen zu klären, wie wir mit autonomem Fliegen und Fahren umgehen, bevor ich hier wirklich einen Durchbruch erwarte.
Sensorik ist ein mächtiger Treiber der Digitalisierung. Wie steuert sie bald Smart Cities?
Kaspar: Mit Luftsensoren, Verkehrssensoren für Verkehrsleitsysteme, Parkleitsysteme. Wir haben in Barcelona einen Musterbezirk mit Lichtsensorik aufgebaut, die die Beleuchtung mit Bewegungssensorik bei wenig Verkehr abdimmt und Energie spart. Müllcontainer sind vernetzt und die Routen der Müllfahrzeuge werden optimiert, dass immer die vollen Mistkübel abgeholt werden und nicht die halb leeren. Auch bei Recycling. In Entwicklungsgebieten arbeiten wir in der Landwirtschaft mit Bodensensoren, die anzeigen, wann bewässert und gedüngt werden soll. Wassereinsparungen bis zu 60 Prozent!
"VR" – Virtual Reality – entwickelt man zur Mixed Virtual Reality. Was wird alles möglich?
Kaspar: Real und virtuell vermischen sich immer mehr. Umgekehrt eröffnen Zalando oder Amazon Filialen. Der Spielesektor ist da wesentlicher Treiber für Innovationen, da sah man jüngst in Las Vegas spektakuläre Dinge.
Die größten VR-Visionen winken doch bei Bildung für die Jugend in allen Winkeln der Erde.
Kaspar: Richtig! Wir sind in engem Kontakt mit Bildungsexperten. Sehen Sie die Khan-Academy an, wo Top-Lektoren gratis ihre Vorträge ins Netz stellen. Mit Kollaboration-Lösungen wie unseren Webex-Videolösungen kann ich global völlig unterschiedlich stationierte Menschen erreichen und auch die Stadt-Land-Kluft überwinden.
Adolf Winkler