Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat eine Zustimmung Österreichs zu dem umstrittenen EU-US-Freihandelsabkommen TTIP ausgeschlossen. Er habe beim EU-Gipfel betont und protokollarisch festgehalten, dass auf Basis der Verhandlungsergebnisse und des bestehenden Mandats "für Österreich eine Zustimmung nicht denkbar" sei, sagte Kern am Freitag nach Ende des Gipfels in Brüssel.
Es sei jetzt der Zeitpunkt, um eine Revision über die EU-Handelspolitik voranzutreiben, sagte der Kanzler. "Was ich nicht mehr möchte, ist, dass wir wie bei CETA in eine Situation kommen, dass wir erst zu einem sehr späten Zeitpunkt die Grundsatzfragen klären." Beim EU-Gipfel seien die "Auffassungsunterschiede aufeinandergeprallt". Ein ursprünglicher Formulierungsentwurf für einen geplanten Abschluss von TTIP sei abgeschwächt worden, so dass nunmehr der Prozess und die Diskussionen weitergeführt würden.
Absicherung des Vorsorgeprinzips
Österreich wolle eine Absicherung des Vorsorgeprinzips und sicherstellen, dass es keinerlei Einschränkungen bei der Regulierung öffentlicher Dienstleistungen gebe, sagte Kern. Eine Regulierungszusammenarbeit dürfe es so wie beim EU-Kanada-Handelsabkommen CETA nur auf freiwilliger Basis geben, damit Umwelt-, Sozial- und Nachhaltigkeitsstandards nicht ausgehebelt würden. Außerdem sei die Weiterentwicklung der Investitionsschutzgerichte entscheidend. Es müsse sichergestellt werden, dass europäische und österreichische Investoren nicht schlechter als amerikanische behandelt werden und die österreichische Gesetzeslage und Gerichtspraxis heranzuziehen sei.
Kern schloss nicht aus, dass CETA nach der bisherigen Ablehnung durch Wallonien völlig scheitert, hält dies aber für unrealistisch. Er gehe von einer Einigung bis Montagabend aus, sagte er. Kern sieht die EU-Staats- und Regierungschefs bei CETA nicht vorgeführt, sondern forderte, dass die EU die Lehren zieht. "Es ist evident, dass wir ein großes Problem haben." Wenn die Politik nicht erklärt werde und einen breiten Konsens suche, "werden wir scheitern". Die Diskussion um CETA sei verbunden mit dem Brexit, dem Aufstieg von FN-Chefin Marine Le Pen in Frankreich, der deutschen AfD und der Freiheitlichen in Österreich. "Wer das ignoriert, schadet Europa."
Keine klaren Entscheidungsprozesse
"Es ist auch ein Zeichen dafür, dass Europa in einer schlechten Verfassung ist", sagte Kern. "Die Probleme nach der letzten Erweiterungsrunde holen uns jetzt ein. Man hat damals verabsäumt, klare Regeln für die Führung und die Entscheidungsmechanismen aufzusetzen. Heute sehen wir die Auswirkungen dieser Versäumnisse."
Zur Diskussion um Anti-Dumping-Zölle in Hinblick auf China kritisierte Kern, die EU bemühe sich zwar um lange Präambeln bei CETA, akzeptiere aber chinesische Stahlimporte, die nichts mit den europäischen Nachhaltigkeits- Umwelt- und Sozialstandards zu tun hätten. Einige Länder erachteten dies dennoch für positiv für ihre Industrien, "ich halte dies für ganz und gar inakzeptabel", so Kern. Der Kanzler erwartet, dass die EU dennoch bis Dezember diese Frage klären kann. Allein im heurigen Jahr seien in der europäischen Stahlindustrie 40.000 Jobs verloren gegangen.