Die vier Kilometer lange Menschenkette um die Bannmeile des Parlaments in Wien sollte ein Zeichen in Richtung Bundesregierung senden. Die Botschaft des Gewerkschaftsbunds (ÖGB): „Stoppt endlich die Teuerung“. Der Termin am gestrigen Mittwoch war freilich nicht zufällig gewählt, so startet am kommenden Montag die Herbstlohnrunde mit der gewerkschaftlichen Forderungsübergabe an die Arbeitgeber des größten Metallerverbandes von der Metalltechnischen Industrie (FMTI). Die vergangenen Wochen zeigten – auch durch teils deftige Verbalscharmützel –, dass die diesjährigen KV-Verhandlungen – im Spannungsfeld zwischen enorm hoher Inflation und Konjunktureinbruch – besonders schwierig werden.

"Die Kaufkraft sichern“

„Klar ist, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht für das zögerliche Handeln der Regierung geradestehen werden“, so ÖGB-Chef Wolfgang Katzian. Man werde „gute Lohn- und Gehaltserhöhungen herausholen und damit die Kaufkraft sichern“. Die Arbeitgeberseite um FMTI-Obmann Christian Knill hatte zuletzt wiederum betont: „Unsere Aufgabe ist nicht, die Kaufkraft in Österreich zu gewährleisten.“ Man könne nur verteilen, was man auch erwirtschafte.

"Jetzt müsste man kreativ werden"

Die eingeübten Rituale bei österreichischen Lohnverhandlungen könnten heuer tatsächlich nicht ausreichen, um zu einer Einigung zu kommen, wie die Agenda Austria in ihrer neuen Studie zum Thema betont. „Jetzt müsste man kreativ werden“, sagt Agenda-Ökonom Jan Kluge. Er plädiert dafür, bei den Verhandlungen die staatlichen Hilfen zu berücksichtigen und gewissermaßen die ausgestreckte Hand des Staates zu ergreifen – etwa in Form von abgabenfreien Einmalzahlungen. „Dadurch gibt es den Reallohnausgleich, die Wirtschaft wird aber weniger belastet, weil das Ganze abgabenfrei ist, und in den nächsten Jahren zieht man bei den Verhandlungen nach, damit keine Lücke entsteht. Das wäre eine Möglichkeit.“ Die Gewerkschaft konnte der Idee allerdings schon im Vorjahr nichts abgewinnen. Dabei gibt es aktuell laut Agenda Austria keinen Grund, gleich „mit Nägeln in den Boxhandschuhen“ zu kämpfen: Der Budgetdienst habe erst vor Kurzem mitgeteilt, dass die realen Arbeitseinkommen hierzulande zwischen 2019 und 2022 durch staatliche Hilfen leicht gestiegen sind.

Zuerst die Gewinne, jetzt die Löhne

Doch wie wirken sich die steigenden Löhne auf die Inflation aus? Laut einer aktuellen Analyse der Nationalbank (OeNB) haben 2021 vor allem die enormen Importpreissteigerungen (vor allem bei Energie) die Inflation getrieben, im Vorjahr verstärkten Unternehmensgewinne den Preisauftrieb. Von den Löhnen sei 2022 hingegen noch kein relevanter Preisantrieb ausgegangen, weil diese eben zeitverzögert steigen.
Heuer habe aber ein Wandel eingesetzt: „Die im Vergleich zum Euroraum höheren Kollektivvertragsabschlüsse führten zu deutlich steigenden Lohnbeiträgen: Im ersten Quartal im Ausmaß von 38 Prozent und „im zweiten Quartal waren die Löhne mit einem Beitrag von mehr als zwei Dritteln der bestimmende Inflationstreiber“, so die Studienautoren der OeNB.